Von Peter Bayer
Eberbach. Wo komm ich her? Wo geh’ ich hin? Fragen, die man sich des Öfteren stellt und auch stellen sollte. Auch in Vereinen. Wo es hingehen soll, das wissen die derzeit Verantwortlichen des SV Eberbach, haben sie es doch zum großen Teil selbst in der Hand. "Jetzt wissen wir auch, wo wir herkommen", sagt Achim Hable, stellvertretender Vorsitzender des SV 1924 Eberbach. Hermann Hock, seit 2015 Ehrenmitglied des Vereins und früherer aktiver Spieler, hat nach aufwendigen Recherchen eine Chronik des Vereins zusammengestellt und sie an Vorsitzenden Ralf Bettinghausen und dessen Stellvertreter Achim Hable übergeben.
Namen sind meist Schall und Rauch. Auch bei Vereinen sind schnell die Macher und Akteure vergangener Zeiten vergessen. Nicht so beim SV Eberbach. Hier ziehen sich manche Namen wie ein roter Faden durch die fast hundertjährige Geschichte. In ihren Familien wurde das "Fußballgen" quasi über Generationen vererbt.
Hock zeigt es am Beispiel der Familie Grein. So geht der 1924 zum ersten Vorsitzenden gewählte Wilhelm als Urgestein in die Geschichte des Sportvereins ein. Auch die Neugründung nach dem Krieg 1948 erfolgt unter seinem Vorsitz. Sein Sohn Hermann spielt als schneller quirliger Linksaußen und gilt als unermüdlicher Antreiber der Mannschaft. Diese beiden Namen sind der älteren Generation noch ein Begriff. Die heutige Generation verbindet mit dem Namen Grein hingegen eher Wilhelms Enkel Armin, Mitglied der Aufstiegsmannschaft 1993, im Jubiläumsjahr 1999 stellvertretender Vorsitzender und anschließend viele Jahre im Jugendbereich Trainer und Betreuer, sowie Urenkel Christian, der 2013 aus der Jugend in die erste Mannschaft gewechselt hat. Sein Bruder Felix spielt derzeit in der C-Jugend.
Bei seinen Recherchen - dem Blick in Archive und in Gesprächen mit Nachkommen der damaligen Vereinsgründer - hat sich bei Hermann Hock die Erkenntnis verfestigt, dass Tradition beim SVE groß geschrieben wird. "Heute ist bereits die vierte Generation der Gründerväter für den SV Eberbach am Ball", sagt er. Die hat es - trotz mancher Schwierigkeiten, die es zu meistern gilt - doch ein Stück weit einfacher als die in den 1920er Jahren.
Denn es war eine schwere Zeit damals, nur wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. "Harte Arbeit, karger Lohn", galt für viele Arbeiter - so sie denn überhaupt eine Arbeit hatten. Und in dieser Zeit, als die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft groß war, schlossen sich einige Idealisten zusammen und gründeten in totaler Armut den "Arbeiter Sportverein (ASV) Kleine Schweiz". Den Eberbachern heute besser bekannt als "SV 1924 Eberbach".
Die Gründerväter sind Idealisten, die für ihre sportlichen und politischen Ziele kämpfen. Sie sind bereit, hierfür Opfer zu bringen, wie das folgende Beispiel zeigt. Theodor Sauer und Emil Hock sen. sind beste Freunde, gute Sportler und überzeugte Sozialdemokraten. Aufgrund ihrer negativen Äußerungen gegen den Nationalsozialismus allgemein und im Besonderen wegen der Zwangsauflösung ihres damaligen ATSV werden beide nachts von Faschisten verhaftet und in Arrest genommen. Emil sitzt einige Tage in Mannheim, Theodor in Heidelberg ein.
Auch auf dem Platz ging es damals noch etwas rauer zu als heute. So wäre für das erste Freundschaftsspiel nach der Neugründung 1948 in Rothenberg das Wort "Vergleichskampf" zutreffender gewesen. Es spielte "olwer gegen welsch" (grob gegen ungehobelt), wozu auch die alten Kickschuhe mit Stahlkappen ihren Beitrag leisteten. Die lautstarken Aufmunterungen "druff un dewedder" (drauf und dagegen) zeugen vom rüden Umgangston. Auch Spielabbrüche, unter anderem wegen Schlägereien unter den Schlachtenbummlern, waren damals in den Derbys keine Seltenheit.
Der Einstieg in die Jugendarbeit 1950 durch Hubert Rupp ist mit viel Idealismus verbunden. Heute spielt eine dreistellige Zahl an Jugendlichen im Verein. Zu den Spielen werden sie mit dem Vereinsbus oder von den Eltern gefahren. Mit welchen Schwierigkeiten ein Auswärtsspiel früher verbunden war, können sie sich wohl nicht vorstellen: So waren sie in den 1950er Jahren, als keine Privatautos vorhanden und Züge unzuverlässig waren, über zwölf Stunden für ein Fußballspiel von zweimal 35 Minuten unterwegs. Es ging dabei weder ins Rheinland noch nach Österreich - sondern nur ins 30 Kilometer entfernte Altenbach. Abfahrt am Bahnhof Eberbach war um 8 Uhr, Rückkehr circa um 20 Uhr, anschließend Rückmarsch nach Neckarwimmersbach, Ankunft zu Hause gegen 20.30 Uhr.
Das sind nur drei Beispiele, die zeigen, wie schwer es die fußballbegeisterten Männer damals hatten. "Vom SV habe ich schon viel als Kind mitgekriegt, aber erst bei den Recherchen habe ich realisiert, wie schwer es die Gründerväter in dieser Zeit hatten", sagt der 78-Jährige, seit 2015 Ehrenmitglied des SVE.
Auch wenn er seit 1975 auf der anderen Neckarseite wohnt, bezeichnet Hock sich als "Wimmersbacher", fühlt sich dem SV noch immer verbunden. "Auch mein Vater und mein Onkel gehörten zu den Gründungsvätern", sagt er. Neben seinen drei Brüdern hat auch er selbst - bis zu seiner zweiten Knieoperation - 16 Jahre für den Verein gespielt, war Schriftführer und Spielausschussvorsitzender. Als Jugendleiter hat er damals sechs Spieler in die erste Mannschaft gebracht, sagt er nicht ohne ein bisschen Stolz. Mit der Gründung der Tischtennisabteilung 1955 hat er einen neuen Sport für sich entdeckt, dem er bis vor wenigen Jahren noch aktiv nachging. Seit seine drei Enkel, beim SVE spielen, geht er auch wieder zum Zuschauen auf den Fußballplatz.
Und was war für den inzwischen 78-Jährigen Motivation dafür, sich all die Mühe zu machen? Hier bemüht Hock den ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy: "Frage nicht, was der Verein für dich tun kann, sondern was kann ich für den SVE tun".