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Schlossfestspiele Zwingenberg: Kleiner Schlosshof wurde zur Plaza

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Von Ronald J. Autenrieth

Zwingenberg. Die Modernisierung der Zwingenberger Schlossfestspiele unter Intendant Rainer Roos bescherte den Besuchern am Sonntag ein neues Format. Statt Konzertbestuhlung gab es Stehtische, zum Bodensee-Secco aus gräflichem Anbau gesellten sich exotische Caipirinhas.

Schnell wich die anfängliche Skepsis namentlich einiger älterer Konzertbesucher, die damit nicht gerechnet hatten, einer gelösten, launigen südländischen Plaza-Atmosphäre. Möglich machte dieses Wunder die vierköpfige brasilianische Gruppe "Sai da Frente".

Intendant Roos hatte sie in Brasilien kennen gelernt. In Brasilia zeigte sie ihm Plätze, die nur Musiker kennen, und ihr Spiel faszinierte ihn. Dank des Einsatzes von Landrat Achim Brötel konnten konsularische Hürden aus dem Weg geräumt werden, der brasilianische Staat bezahlte den Musikern den Flug und am Sonntag standen sie leibhaftig im kleinen Schlosshof zu Zwingenberg. Mit rein akustischen Instrumenten, ohne jegliche Technik - wie Straßenmusiker also - verzauberten sie das zahlreich erschienene Publikum bis 23.30 Uhr.

Victor Angeleas spielte seine Mandoline wie ein Jazzgitarrist. Halsbrecherische Läufe, akzentgenaue Akkorde, Glissandi und Flageolett-Töne ließen sein Instrument singen und erzählen. Vinicius Viannas große siebensaitige Gitarre konnte dies alles auch, dazu kamen oft gediegene, wenn auch leise Basslinien. Nelsinho Serra spielte sein Cavaquinho, eine fünfsaitige Gitarre im Miniaturformat, als akkordisches Schlaginstrument und ergänzte damit das Tamburin des stets lächelnden Junior Viegas zur Rhythmusgruppe.

Wer Viegas zuhörte ohne hinzusehen, etwa während eines atemberaubenden Solos, meinte ein komplettes Schlagzeug zu hören. Nichts fehlte!

Die Gitarren spielten musikalisch so einfallsreich, dass man oft mehr Spieler vermutete, als anwesend waren. Ihre Arrangements atmeten höchste musikalische Qualität, das Ganze jedoch im Geist spontaner, rhythmisch geprägter Straßenmusik im besten Sinne.

Die Titel waren teils Eigenkompositionen, aber auch Standards, wie der "Tico Tico no Fubá!", ließen das Stimmungsbarometer in dem Innenhof steil ansteigen. Nie jedoch wurde einfach nur Unterhaltungsmusik abgeliefert, ein Mandolinensolo von Angeleas etwa hatte die Ausdruckstiefe einer Bach-Invention, freilich gepaart mit lateinamerikanischen Elementen.

Es wurden Rhythmen und Melodien aus dem Norden Brasiliens vorgestellt. Sie waren harmonisch teilweise hochkomplex. Dann solche aus dem Süden und aus Venezuela. Sie kamen geschmeidiger daher, dafür jedoch stereotyper im Aufbau. Und natürlich war der Bossa Nova allgegenwärtig. Vieles hätte man noch erfahren und lernen können, doch Victor Angeleas Englisch in seinen Ansagen klang reichlich portugiesisch. Dennoch lauschte man ihm gerne. Immer wieder nahm sich die Musik der in Brasilien so genannten "Choro"-Gruppe bis ins leiseste Pianissimo zurück, so dass man das Brünnlein im Schlosshof plätschern hörte. Betrachtete man die Musiker, schaute man in glückliche Gesichter: Spielen, Lachen, Träumen …

Es war ihr erster Auftritt in Europa und sie nahmen ihn sehr wichtig. Nach Zwingenberg folgen noch Berlin und Frankfurt. So wollte sie am Ende niemand gehen lassen. Als Zugabe wurde "Tico Tico" wiederholt, doch es wären keine Brasilianer, hätte sie das angeregte Mitgehen des Publikums nicht angestachelt.

Schnell wurde der Hit zu einem ganzen Medley bekannter Latino-Weisen ausgebaut, schließlich kam es zu einem Tempo-Wettstreit zwischen dem klatschenden Publikum und den wie entfesselt spielenden Musikern, der nur Gewinner kannte!


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