Von Jochen König
Eberbach. Mit dem Gleichgewicht ist es wie mit so vielem. Wenn es nicht da ist, spürt man die Wichtigkeit am deutlichsten. Man denke an das ökologische, das mechanische, das chemische, das thermodynamische, das wirtschaftliche oder das soziale Gleichgewicht.
Das Gleichgewicht der Kräfte oder gar des Schreckens bilden den Gedanken auf globaler Ebene ab, während der Gleichgewichtssinn samt dazugehörigem Gleichgewichtsorgan der Feststellung der Körperhaltung und Orientierung im Raum dient.
Wie gesagt: Man spürt die Bedeutung von Gleichgewicht dann, wenn es nicht da ist; man denke etwa an den höchst wackligen und schwankenden "Seemannsgang" bei Betrunkenen und auch Kranken, welche eine subjektiv empfundene Schwankung des Bodens auszugleichen versuchen.
Mit diesem Gang blieben Seeleute auch bei hohem Wellengang im Gleichgewicht und glichen das Schaukeln des Schiffes aus. Noch zu beobachten ist dies bei kleineren Booten auch in Eberbach.
Ähnlich verhält es sich bei voll besetzten Bussen und Zügen sowohl bei Brems- wie auch Beschleunigungs- und Kurvenmanövern. Die stehenden Fahrgäste wissen ein Lied davon zu singen, wie geschickt man unvermittelt seinen Körperschwerpunkt verlagern kann, um im Gleichgewicht und damit standfest zu bleiben.
Das innere Gleichgewicht schließlich hat auch viel mit Haltung oder auch Fassung zu tun. Landläufig zu Recht Ausgeglichenheit genannt wird diese innere Einstellung auch als Gleichmut, innere Ruhe und Gemütsruhe bezeichnet.
Ob das Vorhandensein dieser Eigenschaft als persönliches Temperament angeboren ist oder ob sie eingeübt werden kann, ist eine ebenso spannende wie strittige Frage. Oft scheint es auf die Situation, die Tagesform und auch auf die Freundlichkeit des Gegenübers anzukommen.
Die alten Griechen jedenfalls gingen dieser Fähigkeit, vor allem in schwierigen Situationen die Fassung zu bewahren und eine unvoreingenommene Haltung walten zu lassen, in Theorie und Praxis nach; die stoische Philosophie etwa nahm sich zum Ziel, nur die Dinge anzustreben, die man in der eigenen Hand hat und die nicht änderbaren Sachverhalte gelassen, mithin sprichwörtlich "stoisch" hinzunehmen.
Diese Gelassenheit hebt auf den emotionalen Aspekt ab, während die Besonnenheit den Verstand einbezieht, wenn es in heiklen Situationen kühlen Kopf zu bewahren gilt. Beides spielt zusammen.
Diese Tugenden muss man nicht bei Superhelden suchen, ein ganz naheliegender Blick in die anspruchsvollen sozialen Berufe etwa im Krankenhaus und der Pflege bieten jede Menge Anschauungsunterricht, wie besonnen und gelassen man sein kann.
Auch Busfahrer und Kassiererinnen machen wenig Aufhebens davon und ziehen die Taten den Worten vor. Etwa daran kann man sich orientieren, wenn man mit zunehmend hochrot werdendem Kopf morgens versucht, an einschlägigen, nicht durch Ampelschaltungen geregelten Einmündungen in Eberbachs Straßen herauszukommen, wenn der Verkehr dicht ist und man keine Vorfahrt hat.
Es ist also so eine Sache mit dem Gleichgewicht: Ewige, stabile Balance geht nicht, denn stets ist alles in Bewegung (Heraklit sagte: "Alles fließt") und kein Gleichgewicht ist auf Dauer haltbar. Man kann also stets nur eine vorläufige Balance erreichen, welche man immer wieder neu bestätigen und herstellen muss. Genau dies macht das Leben so spannend.
Info: Jochen König betreibt in Eberbach die philosophische Praxis "Institut für Weisheitsliebe" und lädt regelmäßig zum philosophischen Café. Am Donnerstag beginnt in Heidelberg das 30. Symposium mit Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops zum Thema "Gleichgewicht".