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Rockenau: Tuberkolose-Klinik wurde vor 40 Jahren geschlossen

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Von Rainer Hofmeyer

Eberbach. "Letzte Rettung Zauberberg": Anfang des 20. Jahrhunderts suchten Tuberkulosekranke verzweifelt Heilung im alpinen Hochgebirge. Die Schweiz, Davos, war angesagt. Das Reizklima dort sollte ihnen bei ihrer schweren Krankheit helfen. Alles falsch, hieß bald die Feststellung. Mildes Mittelgebirgsklima war die richtige Empfehlung. Solches Klima wie im Odenwald, wo man damals noch stolz auf die Prädikate "Luftkurort" sein konnte, solches Klima wie in Rockenau.

Genau dorthin ging die Empfehlung der damaligen Reichsversicherungsanstalt. "In Südwestdeutschland fehlt ein Sanatorium", lautete die Auskunft, als sich 1929 ein Pneumologe aus Oberschlesien selbstständig machen wollte: Professor Dr. Kurt Schlapper. Und in Rockenau wurde zufällig die "Führer‘sche Heilanstalt für Suchtentziehung" frei, eine Trinkerheilanstalt. Eine große Villa im Grünen, mit Turm und Reichsfahne. Sie hatte auch so manchem zahlungskräftigen russischen Adligen bei der Bekämpfung seiner Wodka-Sucht geholfen. Aber jetzt gab Dr. Führer aus Altersgründen auf.

Kurt Schlapper kaufte das ausbauwürdige Anwesen am Hang an der Rockenauer Straße. Schlapper - bald in der Fachwelt ein Name mit Ansehen. 1895 in Essen geboren, zunächst praktischer Arzt. Im Laufe der Jahre hatte er sich im Oberschlesischen Görbersdorf auf das Fachgebiet Tuberkulose verlegt, in der größten Lungenheilanstalt der Welt. Es war die Zeit, als es noch keine Antibiotika gab - der entscheidende Durchbruch in der Bekämpfung der Tuberkulose kam für Deutschland erst nach dem Krieg. Der künftige Chef hatte also noch ein weites Aufgabenfeld vor sich.

Das neue Projekt startete am 1. Mai 1929. Vom Zustand des Gebäudes her war die Führer’sche Heilanstalt ganz und gar nicht für Lungenkranke geeignet. Es gab weder eine zentrale Heizung noch fließendes Wasser. Schlapper musste also umbauen. Er wählte den Namen "Sanatorium Eberbach" - weil Rockenau keine eigene Bahnstation hatte. Schlapper behandelte sowohl Kassen- als auch Privatpatienten. Den Selbstzahlern wurde jedoch nur der übliche Satz einer Kassenbehandlung in Rechnung gestellt.

Für das ehemals selbstständige Rockenau war "das Sanatorium" immer ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Schließlich waren dort teilweise bis zu 120 Angestellte beschäftigt, viele davon aus dem Dorf selbst: im Stationsdienst, in der Küche, als Metzger, Gärtner, bei der Hausreinigung. Drinnen im Sanatorium gab es viel zu tun, auch das weitläufige Gelände musste gepflegt werden.

Kurt Schlapper hatte sich von Anfang an auf Erweiterung eingestellt. Er war ein guter ärztlicher Leiter, aber ebenso ein guter Geschäftsmann. Noch vor dem Krieg gab es Umgestaltungen am Haus, Räume mit Markisen baute man vor. 1955 wurden noch zwei Stockwerke draufgesetzt, die Bettenzahl stieg zunächst auf 280. Ein Wirtschaftsgebäude kam dazu und eine Abteilung für Urogenitaltuberkulose. Mit Operationssälen wurde aus dem Sanatorium eine Klinik. Große Liegehallen Richtung Wald versprachen Heilung an frischer Luft.

Die in weiterem Abstand lebenden Eberbacher waren vorsichtig im Kontakt mit Haus und Patienten. Schließlich war Tuberkulose eine schwer heilbare Ansteckungskrankheit. Für das "Sanatorium" hatten die Eberbacher einen Begriff, der nicht ganz so einfühlsam mit dem Leid der Kranken umging: "Mottenburg". "Die Motten haben", so hieß es im Volksmund, wenn einer an Tuberkulose litt.

Bei den Rockenauern hingegen war Angst kein Thema. Die Patienten gingen in den drei Wirtschaften drunten im Dorf als gerne gesehene Gäste ein und aus. So konnten die Rockenauer in der "Traube", im "Schiff" oder in der "Krone" sogar dem einen oder anderen Berühmten begegnen. Bei Rockenauern in Erinnerung geblieben: Opernsänger, Schauspieler und hohe Offiziere. Die überzogen oft die Sperrstunde des Sanatoriums, zehn Uhr abends. Passiert ist den Zapfenstreich-Schwänzern nichts - schließlich waren sie meist Privatpatienten, die ihr Schicksal selbst in der Hand hatten.

Es gab offenbar auch viel Geschick im Umgang mit alkoholischen Getränken. Fast konnte man meinen, einige Patienten aus vormals Dr. Führers Trinkerheilanstalt wären noch übrig geblieben. Nicht nur, dass ein Hausangestellter sein Rosenbräu bei der kühlen Leichenhalle mit Stangeneis frisch hielt. Für auch am Durst leidende Patienten gab es an der Straße nahe dem Sanatorium eine hinter Eichenholz getarnte Bude - bei einem Privatmann.

Die Brauerei Adler aus Zuzenhausen freute sich über einen guten Umsatz. Lungenkranke Raucher konnten verdeckt zur Zigarette greifen. Und im Regen saß man unter einem schützenden Dach.

So mancher fand auch den Weg auf die andere Neckarseite: Lindach mit seinen Wirtschaften "Schiff" und "Hirsch" hatte gute Zecher von gegenüber. Der Fährmann musste des Öfteren auf dem Heimweg bis zur Schleusenbrücke aushelfen. Es hat sich übrigens kein einziger Rockenauer oder Lindacher je mit Tuberkulose angesteckt. Man hatte sich auf radikale Vorsichtsmaßnahmen verständigt: Bier gab es nur aus Flaschen. Eine Übertragung mit möglicherweise nicht richtig gespülten Gläsern wurde vermieden.

Im Zweiten Weltkrieg war das Lungensanatorium ein Reservelazarett. Als 1959 das dreißigjährige Jubiläum des Sanatoriums gefeiert wurde, erhielt es die Auszeichnung "Musteranstalt". Offenbar traf das Mustergültige auch auf die Organisation zu: Zuletzt wurde das Sanatorium mit seiner hohen Bettenzahl und dem großen Personalstamm allein von Schlappers Tochter Liesel und ganzen drei Verwaltungskräften geleitet.

Wirtschaftlich auf gesunden Beinen, nahm Kurt Schlapper zum 1. Juli 1963 das Übernahmeangebot des Mannheimer "Verbands zur Bekämpfung der Tuberkulose" an und verkaufte seine Klinik. Erst jetzt wurde auf Schlappers ehemaligem Reitplatz eine geschlossene Abteilung gebaut, in der Menschen mit offener Tbc zwangsweise eingewiesen werden konnten.

Die einst als "weiße Pest" gefürchtete Tuberkulose spielte in Deutschland bald kaum noch eine Rolle: Mit Medikamenten kann die Krankheit gut behandelt werden. Bis zum 30. Juni 1978 firmierte die Einrichtung noch unter "Fachklinik Eberbach GmbH" als Privatkrankenhaus. Dann kam nach knapp einem halben Jahrhundert das Ende der Eberbach-Rockenauer Lungenheilanstalt.

Rund zwei Jahre lang betrieben Eberbacher Ärzte anschließend die Einrichtung als Belegkrankenhaus. 1980 wurde das Pflegeheim Seniorenstift Eberbach draus. In der Folge wechselten Eigentümer, Betreiber und Namen: TMG Wiesbaden, Refugium, Cursana. Seit immerhin Januar 2004 ist wieder Kontinuität zu verzeichnen: Rund 120 Plätze für alle Pflegegrade werden im jetzt Curata Seniorenstift angeboten. Die Zahl der Mitarbeiter beträgt 120 aus einem Umkreis von bis zu 30 Kilometer, ist Leiter Andreas Neureuter stolz. Da ist in Rockenau doch was Gutes von Schlappers ehemaligen "Eberbacher" Sanatorium übrig geblieben.

Info: Eberbacher Geschichtsblatt 1979, 1995. Histor. Postkarte: Besitz Hans Leistner


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