Von Jutta Biener-Drews
Eberbach. Armin Stähle war 69, als er am 9. August vor zehn Jahren starb, und es war eine Erlösung für ihn, sagt seine Witwe Anita Stähle heute. Auch für sie selbst. Seit 2003 hatte er mit der Diagnose ALS leben müssen, dieser unheilbaren Nervenkrankheit, die ihn in der Folge auch an den Rollstuhl fesselte. Und zusammen mit einem Pfleger hatte sie ihren Mann zuletzt rund um die Uhr zuhause versorgt. Zuhause: in diesem ganz nach den Vorstellungen des charismatischen Künstlers erbauten und gestalteten Wohnhaus mit Atelier, im Parallelweg oberhalb des Gymnasiums, wo einem fast jedes der vielen Fensterflächen den Blick auf Stadt und Neckar öffnet.
Armin Stähles Präsenz in diesem Hause ist immer noch überwältigend. Gemälde, Drucke, Aquarelle in allen Größen, aus allen Lebensphasen, stehend, hängend oder liegend überall verteilt: der Nachlass samt umfangreicher Schriften- und Plattensammlung des Musikbegeisterten, "seine ganzen Jazzplatten, manche sind bald 100 Jahre alt", sagt Anita Stähle im Gespräch. Heute, nach genau zehn Jahren, ist die 78-Jährige so weit. Sie habe das Haus verwaltet und alles geordnet, habe "die ganze Zeit quasi für die Kunst gelebt" und "müsste jetzt durch sein!".
Rechtzeitig zu den drei ab 28. Oktober bevorstehenden Ausstellungen, die Stadt und Galerie Artgerecht Armin Stähle aus Anlass seines 80. Geburtstags 2019 widmen. Im Rathaus sind Malerei und Musik Thema, in der Galerie Malerei und Grafik, das Museum zeigt Aquarelle, Biografisches und frühe Werke, die der Eberbacher, der sich seiner Heimatstadt ungeachtet zahlreicher Auslandsaufenthalte zeitlebens tief verbunden fühlte, als Schüler mit 16,17 gemalt hat. Ein Tier ist auf dem ältesten von ihm erhaltenen Bild zu sehen. Stähle hat es als Siebenjähriger seinem Vater in die Kriegsgefangenschaft geschickt. Mit dieser Ausstellungstrias mit Arbeiten aus dem Privatbestand und von teils öffentlichen Leihgebern ist dann ein ausgiebiger Blick auf den Künstler, seine zentralen Themen und sein Werk möglich.
Im Hause Stähle werden die Wände dann eine Zeit lang ungewohnt kahl sein, und Anita Stähle geht die Arbeit nicht aus. Doch die Freude über diese Würdigung wiege natürlich alles auf. Ihr selbst, sagt sie, sei die Bedeutung ihres "nach Sujets, Interessen und Techniken ungeheuer breit aufgestellten" Künstler-Ehemanns erst in den letzten zehn Jahren so richtig aufgegangen. "Ich habe immer mehr gemerkt, was der Mann gekonnt hat!" Musik, Kunstgeschichte, Literatur und Zeitgeschehen: Armin Stähle tauchte in alles ein, nahm alles auf, war ungeheuer spontan und beweglich und ließ sich in seiner Arbeit nie in eine Richtung festlegen. Und: "Er hat ja praktisch immer gearbeitet - sogar im Urlaub war er immer mit Skizzenblock unterwegs", erinnert sie sich. Für sie war das freilich nicht so einfach. Anita Stähle hat zwei Söhne großgezogen und einen Kindergarten geleitet. Und sie ist sich sicher: Ohne dieses Gegengewicht der eigenen Berufstätigkeit hätte das alles für sie wohl nicht funktioniert.
Wie früh der Wunsch, ein bildender Künstler zu werden, aufgetaucht ist in seinem Leben, und mit welcher Unbeirrbarkeit und Konsequenz gegen alle Widerstände Armin Stähle sein Lebensziel von Jugend an verfolgt hat: Anita Stähle hat das beim Sichten seiner Tagebücher regelrecht umgehauen. Ein Stoß dieser dünnen schwarzen Hefte, deren Schlüsselstellen sie sorgfältig mit gelben Markern versehen hat, liegt vor ihr auf dem Tisch. Die früheste Eintragung datiert von 1951, seinem zwölften Lebensjahr, "daran geschrieben hat er, bis er nicht mehr schreiben konnte". Im Alter von 14, 15 war für ihn die Sache klar. Als er im Hohenstaufen-Gymnasium mit 15 und 16 zweimal hintereinander den Kunstpreis abräumte - "Armin war unschlagbar!" - gab es für ihn kein Halten mehr. "Die Schule hängt mir zum Hals raus!" schafft er sich in seiner Kladde Luft und geht kurz darauf ab, um eine Ausbildung als Maler und Schriftenmaler zu machen. Kein einfacher Schritt damals für einen mit seinem Background: das konservative Elternhaus - sein Eltern hatten einen Haushaltswarenladen - und die Lehrer begegneten dem Jugendlichen mit blankem Unverständnis. "Von innen heraus Künstler sein, ist in jungen Jahren schwie-riger als in älteren", notiert Armin Stähle später. Aber er schließt die Ausbildung als Jahrgangsbester ab, macht gleichzeitig einen Fernkurs für Freie und angewandte Zeichenkunst, arbeitet als Werbe- und Gebrauchsgrafiker, um Geld zu verdienen. Im Kegelverein macht er den Laufburschen, um sich Malmaterial kaufen zu können, in einer Garage im Gässel richtet er seine erste Radierwerkstatt ein. Bis in die Achtzigerjahre hat Stähle hauptsächlich radiert, Schwerpunkt seines Schaffens ist aber die großformatige Malerei im Atelier gewesen, bemerkt Frau Stähle.
Dass Anita Stähle oft dabei war, wenn ihr Mann Feuer fing für ein Thema, ließ sie, die ebenfalls Kunstinteressierte, die Dinge damals oft mit seinen Augen sehen. In der Hofburg Brixen zum Beispiel, beim Anblick jener mittelalterlichen Marienskulpturen, der eine jahrelange Auseinandersetzung und den zwölfteiligen "Madonnenzyklus" zur Folge haben sollte. Wie sehr er sie damals mit seiner Sicht auf diese alten Figuren verblüfft habe, ist Anita Stähle unvergesslich.