Von Felix Hüll
Eberbach/Stuttgart. Was in Eberbach ist erhaltenswert und ausbaufähig, was benötigt die Stadt Neues? In der Annahme, dass Frauen und Männer hier unterschiedliche Sichtweisen haben, bekamen speziell Frauen diese Frage vorgelegt, weil sie öffentlich in der Regel weniger lautstark wahrgenommen werden. Den Auftakt der Folgen "Frauenblick auf Eberbach" macht die frühere Landtagsabgeordnete Charlotte Schneidewind-Hartnagel. Sie ist heute Vorsitzende des Landesfrauenrats Baden-Württemberg.
Was ist aus Frauensicht ein "no go" in Eberbach?
Schneidewind-Hartnagel: Die Besetzung des Gemeinderates. Es sind nur noch zwei Frauen dabei. Da wir im nächsten Jahr Kommunalwahlen haben, hoffe ich sehr, dass wir mehr erreichen als einen Männerüberhang von 90 Prozent. Über die Hälfte der Bevölkerung in Eberbach ist weiblich, und die kommunalpolitische Vertretung ist zu 90 Prozent männlich. Mehr Frauen im Gemeinderat würden auch andere Entscheidungen treffen. Darum ist es zwingend, dass Frauen, deren Lebensumfeld Eberbach ist, auch mitbestimmen können, wie es gestaltet wird. Das fällt ja im Moment völlig raus. Bei ,Frauenquote‘ reagieren viele Leute allergisch, da hab’ ich mir gedacht, ich überleg’ mir mal eine andere Formulierung. Ich sag’ jetzt nicht mehr ,Frauenquote‘ sondern ‚Männerobergrenze‘ - von 50 Prozent. Das Ergebnis hängt aber nicht nur von der Besetzung der Listen ab, sondern auch von der Wahlentscheidung der Wähler*innen (Zu dieser Schreibweise siehe auch das "Übrigens"). Durch die Möglichkeit zum Kumulieren und Panaschieren reicht eine quotierte Liste allein nicht aus, um den Frauenanteil zu erhöhen.
Welche drei Punkte wollen Sie in der Stadt verbessert sehen?
Parität im Gemeinderat wäre ein erster Punkt. Wichtig ist zu verstehen, dass Frauen keine homogene Gruppe sind. Eine verheiratete Frau mittleren Alters, deren Kinder aus dem Haus sind, hat andere Themen als eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, die voll berufstätig ist, oder eine selbstständige Einzelhändlerin, die mit ihrem Geschäft die Familienexistenz sichern muss. Genau deswegen gibt es viele unterschiedliche Ansätze, Forderungen und Wünsche, die frau hat.Frauen müssen ihre Interessen und Anliegen formulieren und einbringen können. Persönlich sehe ich - zweitens - noch die Verbesserung der Aufenthaltsqualität in unserer Stadt insgesamt - für alle. Es ist äußerst bedauerlich, dass die Stadt am Fluss, die wir sind, den Neckarlauer nicht ins Geschehen mit einbezieht. Die völlige Dominanz der Parkplätze dort ist eine totale Verschwendung. Ein kleiner Cafépavillon direkt auf den Neckarlauer, ein Eisladen mit einem netten Sitzangebot - das könnte wirklich noch einmal den Fluss näher an die Stadt holen und sie dadurch attraktiver machen. Und dann wünsche ich mir - drittens - ein gutes und kluges Quartiersmanagement, etwa rund um das Dr.-Schmeißer-Stift. Es gibt wunderbare Beispiele in Baden-Württemberg, wie man altersgerechtes Wohnen ins Stadtgeschehen einbeziehen kann. Dabei geht es um Öffnung und Lebendigkeit nicht nur für die Bewohner*innen der Einrichtung, sondern auch für die Stadtgesellschaft.
Dem Gemeinderat empfehle ich mal einen Ausflug nach Eichstetten am Kaiserstuhl. Das ist eine kleine Gemeinde, kleiner als Eberbach, die das wunderbar gestaltet hat, so dass da viele gern hingehen und nicht nur die Bewohner*innen der Einrichtung in so einer Art Isolierhaft da leben. Wenn man sich ein gutes Konzept überlegen würde - was natürlich voraussetzt, dass man da jetzt endlich mal zu Potte kommt, ob das Schmeißer-Stift renoviert wird oder nicht, ob es abgerissen oder neu gebaut wird. Das Sozialministerium unterstützt das kommunale Management bei der Quartierentwicklung. Da etwas richtig Attraktives und Richtungweisendes draus zu machen, auch vielleicht als Leuchtturmprojekt, das fände ich richtig gut. Eichstetten hat jeden Tag zwei Besucher*innengruppen, die sich deren Modell anschauen und erläutern lassen.
Eines ist mir noch wichtig: die Angliederung eines medizinischen Versorgungszentrums ans Krankenhaus wäre ein guter und wichtiger Schritt, wenn Eberbach auch in Zukunft gesundheitspolitisch gut versorgt bleiben will.
Das ist aber jetzt schon ein vierter Wunsch.
Ja, aber das würde wahrscheinlich auch die Notfallambulanz entlasten, weil die Patient*innenströme besser verteilt werden könnten. So ein MVZ ist ein Ärzt*innenhaus mit ambulanten Praxen. Räume ließen sich vielleicht im Schwesternwohnheim finden oder in einem Neubau. Das würde die wohnortnahe medizinische Versorgung in Eberbach langfristig erhalten und die Existenz des Krankenhauses langfristig sichern. Und dann ist mir - fünftens - ganz wichtig: Hände weg von Freibad und Hallenbad! Beide sind großartige Angebote der Sport- und Freizeitgestaltung für alle. Ich weiß, dass das immens viel Geld kostet, und dass sich das nie kostendeckend tragen wird, aber es ist ein Angebot für die gesamte Bevölkerung. Das Neckarstrandbad ist zudem eines der schönsten Freibäder am Neckar, auch wenn es keine Spaßrutsche hat. Hat man da schon mal überlegt, Erdwärme zu nutzen um die Wassertemperatur länger zu halten? In allen Bädern, die ich kenne und die das tun, konnten die Nutzungszeiten enorm verlängert werden. Für das Hallenbad wird es nach dem neuesten Gutachten eine wirklich intelligente Lösung brauchen.
Wie machen sich geschlechtsspezifische Unterschiede in der Stadtentwicklung bemerkbar?
Frauen unterscheidet da von Männern, dass sie deutlich höhere Ansprüche an eine ansprechende und sichere Aufenthaltsqualität haben. Da könnte sich Eberbach wirklich noch entwickeln; eine Optimierung der Fußgängerzone ist ja eine alte Forderung. Eltern mit kleinen Kindern haben echt ein Problem in der Stadt, denn nirgends kann man sich drauf verlassen, dass kein Auto um die Ecke kommt. Und auch wenn ich gesagt habe, Frauen sind keine homogene Gruppe und haben unterschiedliche Interessen, so treffen für Frauen doch viele Dinge eher zu: Kinderbetreuung, Angehörigenpflege, unterbrochene Erwerbsbiografien, Teilzeit, gering bezahlte Beschäftigung und Armut im Alter sind immer noch überwiegend weiblich, und Frauen leben im Alter öfter allein. Das unterscheidet die Lebensverläufe von Frauen immer noch erheblich von denen der Männer.
Wo hatten Sie in der Vergangenheit das Gefühl, dass hier eher aus männlichem Blickwinkel geplant worden ist?
Ich fand es sehr bedauerlich, dass beim Erschließen des Neubaugebiets Wolfs-/ Schafacker komplett aller alter Baumbestand plattgemacht wurde. Vielleicht hätte so ab und zu jemand, der ein kleineres Haus hinbaut, es schön gefunden, dass er da nicht wieder alles komplett neu bepflanzen muss. Das ist männliches Erschließen: Du machst erst mal alles platt, um dann neu zu bauen. Bedauerlich. Meine Beobachtung ist, Frauen schauen genauer hin, wie die Umgebung so ist, etwa in einem Neubaugebiet: Wird da eine Spielstraße ausgewiesen oder nur eine 30er-Zone? Ist es barrierefrei? Wie komme ich mit Kinderwagen da lang? Gibt’s einen Radweg? Wo können meine Kinder sicher zur Schule fahren? Gibt’s ansprechende Begrünung mit Schatten? Ich glaube schon, dass Frauen auf dieses ,Wie möchte ich mein Umfeld gestaltet haben‘ nicht nur rein nach Zweckmäßigkeit schauen, sondern auch auf Lebens-, Aufenthaltsqualität und Sicherheit für Kinder und ältere Menschen einen Blick haben. Die meisten Männer fahren morgens zur Arbeit und kommen abends zurück. Da fehlt manchmal der Alltagsblickwinkel - auch in der Bauplanung und bei der Stadtentwicklung, die wiederum meistens männlich besetzt ist.
Negativbeispiele sind für mich auch die Vollbetonisierung des Neuen Marktes, der Rewe-Parkplatz oder das doch sehr gewöhnungsbedürftige Straßengeschoss der Wohnbebauung am Rosenturm.
Wo ist das Positive? Was ist in Eberbach gelungen?
Eberbach ist ein guter Schulstandort. Und mit der Gemeinschaftsschule können wirklich alle Schulabschlüsse in Eberbach angeboten werden. Das haben Sie nicht mehr in so vielen Gemeinden dieser Größenordnung! Für Familien mit Kindern ist Eberbach ein sehr schöner Lebensort mit einer wunderbaren Umgebung und einem sehr guten Sport- und Freizeitangebot. Sportvereine mit einem großen Angebot und enorm viel ehrenamtlichem Engagement, Freibad,Hallenbad, Musik- und Ballettschule, mehrere wunderbare Jugend- und Erwachsenenchöre und die verschiedenen Kulturangebote. Wenn die Kinder dann mal 15, 16 Jahre alt werden, dann fehlt ihnen in Eberbach manches, aber dann sind sie mit der S-Bahn an die Großstädte gut angebunden. Viele Eberbacher*innen haben niemals woanders gelebt, da geraten die Vorzüge dieses Wohnortes vielleicht manchmal aus dem Blick."