Von Rainer Hofmeyer
Eberbach. Da hat man ihn fast vergessen, den 75. Todestag des Eberbacher Bürgermeisters und Ehrenbürgers John Gustav Weiss. Am 4. Juni 1943 ist er in Eberbach gestorben. Sein Ehrengrab ist auf dem Friedhof am Ohrsberg. Die Stadtgemeinde pflegt die letzte Ruhestätte - den Statuten für die Ehrenbürgerschaft entsprechend. Diese gebliebene Hochachtung ist auch so etwas wie der Dank für vieles, was Weiss in seiner Zeit als Bürgermeister für die Stadt geleistet hat und noch heute wirkt.
1893 wurde Weiss zum Stadtoberhaupt gewählt. Es war noch keine Wahl durch die Bürgerschaft, sondern durch einen Wahlausschuss. Weiss war erst der zweite hauptamtliche Bürgermeister, wurde mehrfach in seiner Funktion bestätigt und blieb es bis 1927, länger als jeder andere. Die Krönung der 34-jährigen Dienstzeit war die große Feier der Stadt zu ihrem 700. Jubiläum.
Vor allem um die Jahrhundertwende 1900 lassen sich viele Aktivitäten des rührigen Bürgermeisters feststellen. Als er sein Amt antrat, war Eberbach städtebaulich weitgehend auf die Fläche der Altstadt beschränkt. Die vier Stadttürme begrenzten das Wirtschaftsleben- hauptsächlich bedeutete dies Handwerk und Kleingewerbe, Fischerei und Schifffahrt. Wald und Sandstein waren die Reichtümer, dazu die Verbindung zum Neckar. Viel Industrie gab es noch nicht.
Der am 21. August 1857 geborene Mannheimer hat an der Heidelberger Universität Sprach- und Staatswissenschaften studiert, dann aber sein Studium erst einmal abgebrochen. Die Zeitungsarbeit war ihm lieber. Weiss wurde Redakteur der in Mannheim erscheinenden Rhein- und Neckarzeitung - nicht zu verwechseln mit der im September 1945 gegründeten RNZ. Nach dem Militärdienst nahm Weiss sein Studium wieder auf und machte seinen Dr. phil. Im Frühjahr 1883 bekam er eine Anstellung in Adelsheim, als Rentamtmann und Archivar der dortigen Grundherren.
1893 dann der Beginn als Bürgermeister von Eberbach. John Gustav Weiss ging frisch ans Werk. Die Entwicklung Eberbachs sah Weiss in erster Linie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten - Gewerbe und Unternehmen sollten angesiedelt werden. Die Stadt als Sitz regionaler staatlicher Verwaltungseinrichtungen hatte der Neue im Rathaus von Anfang an als nicht mehr realistisch eingeschätzt. 1924 verlor denn Eberbach auch den Sitz des Badischen Bezirksamtes.
Weiss sorgte für Dynamik. Im Gegensatz zu heute hatte er Platz genug, um die Stadt zu erweitern. Gleich nach Dienstantritt wurden Grundstücke im Bahnhofsgebiet zusammengelegt und erschlossen. Unmittelbar daneben gab es die Bebauung der Bussemerstraße, der Schulstraße und Nägelseegasse. Es folgte ein umfassender Ortsbauplan. Hafenstraße, Lichtgutstraße, Burghälde mit Schafbrunnenstraße, König-Heinrich-Straße - alles Initiativen von Dr. Weiss.
1899/1900 der Bau der ersten Neckarbrücke. Ein Jahr davor war Neckarwimmersbach Stadtteil geworden. Der Itterberg wurde zum Baugebiet. "Volksgesundheit" war ein Schlagwort jener Tage. Die Stadt wurde kanalisiert - auch wenn noch bis ins 20. Jahrhundert die Abwässer ungeklärt in den Neckar flossen. Der Bau des Bezirkskrankenhauses am Scheuerberg 1902 förderte Eberbachs Bedeutung in der weiteren Umgebung.
Der Erste Weltkrieg unterbrach die Entwicklung. Weiss organisierte die Pflege von Verwundeten in den Lazaretten in der Stadt. Doch gleich nach Kriegsende ging der Bürgermeister daran, der Entwicklung der Stadt neuen Aufschwung zu geben. Jetzt wurden die Hohenstaufenstraße angelegt und die Beckstraße ausgebaut. Die Bebauung der Wimmersbacher Seite machte Fortschritte. 1920 bekam Eberbach elektrisches Licht. Die Odinwerke waren ein großer Schritt zur Industrialisierung. Die Itterkraftwerke lieferten Strom aus Wasserkraft. Die Industrie siedelte sich hinter dem Ohrsberg an.
Der kleine, fast schmächtige Weiss steckte seine Energie nicht nur in den Dienst der städtebaulichen Entwicklung. Er war auch Archivar der Herren von Adelsheim und ehrenamtlicher Pfleger der Badischen Historischen Kommission für die Bezirke Adelsheim, Buchen, Eberbach und Mosbach. 1900 schon gab er die "Geschichte der Stadt Eberbach" heraus, die er 1927 neu auflegte. Auch für die Stadt Weinheim schrieb Weiss ein Geschichtsbuch - 1911.
Das von Weiss 1901 zum ersten Mal herausgegebene "Eberbacher Geschichtsblatt" erscheint heute bereits im 118. Jahrgang und ist das älteste in ganz Baden - soweit Städte überhaupt ein solches Schriftwerk besitzen. 1908 startete Weiss die Freilegung der Burgruine. Das erste Eberbacher Stadtarchiv brachte der Bürgermeister im Haspelturm unter. Es hat den amerikanischen Fliegerangriff 1945 unversehrt überstanden.
Über Eberbach hinaus wirkte Weiss politisch. 1895 initiierte er den Verband der mittleren Städte Badens, wurde zu ihrem Vorsitzenden gewählt. 1920 hatte der Zusammenschluss 70 Mitgliedsstädte. Der Bürgermeister wurde 1903 für die Nationalliberalen in die Zweite Kammer des badischen Landtags gewählt. Zwei Jahre später wechselte er in die erste Kammer - als Vertreter der mittleren Städte. Weiss gehörte dem Landtag bis zu dessen Ende nach dem Ersten Weltkrieg an. Darüber hinaus war er von 1899 bis 1919 Mitglied der Kreisversammlung und des Kreisausschusses, ab 1914 ihr Vorsitzender.
Als Weiss ab 1927 keine politischen Ämter mehr ausübte, sympathisierte er mit dem Nationalsozialismus, wurde jedoch kein Mitglied der NSDAP. Die Stadt Eberbach verlieh Weiss 1927 die Ehrenbürgerwürde, am Tag der 700-Jahr-Feier. Sie benannte eine Straße und eine Schule nach ihm.