Von Jutta Biener-Drews
Eberbach. Als er 89-jährig im Oktober 2013 starb, hinterließ er Heidelberg mit seinem Museum Haus Cajeth eine Sammlung von Outsider Art und naiver Kunst, die zusammen mit der Prinzhorn Sammlung als europaweit einzigartiger kultureller Schwerpunkt gerühmt wird: Egon Hassbecker. Ihre Ursprünge hatte diese Sammlung in den Sechzigerjahren in einem Eberbacher Hinterhof. Hassbecker, 1924 in Leipzig geboren, wollte nach russischer Kriegsgefangenschaft und DDR-Flucht wieder Fuß fassen, sich in der Kleinstadt am Neckar eine bescheidene Existenz als Buchhändler aufbauen. Und hier, in seiner inzwischen legendären (Hinter-)Hofbuchhandlung in der Friedrichstraße 14, sollte sich Egon Hassbecker bald zum leidenschaftlichen Bildersammler naiver Malerei entwickeln und eine einzigartige Mischung aus Galerie und Buchhandel in die Welt setzen. "Die größte und bedeutsamste Liebesgeschichte meines Lebens ist wohl die zwischen mir und der Kunst", schreibt Hassbecker in seiner im Sommer erschienenen Autobiografie "Haspelgasse 12 in Heidelberg". Die ihn kannten, erlebten Hassbecker als begnadeten Erzähler. Und so, in einem herrlich lebendigen, unverstellten Erzählton, hat er über viele Jahre auch seine Lebenserinnerungen zu Papier gebracht: von der Geburt in Leipzig 1924 bis zum nahenden Ende. Eberbach und die Menschen, mit denen er hier in Berührung kam, nehmen darin breiten Raum ein. Auch wenn sich Hassbecker nicht an jeden einzelnen Namen genau erinnern konnte.
"Ich bin nicht artig"
Über seinen Freund und alsbaldigen Geschäftspartner Rolf Greif, Leipziger wie er, kommt Anfang der Fünfzigerjahre der erste Kontakt nach Eberbach zustande. Greif hat "ein kleines Fotogeschäft" am Ort. Das Verhältnis zu ihm sollte sich zwar sehr bald eintrüben und schließlich zerbrechen, aber Hassbecker hat sich da schon in einem unmöblierten Dachzimmer am Bösen Berg einquartiert. Der Jungdreißiger durchlebt eine harte und entbehrungsreiche Zeit, wird von einer lebensbedrohlichen Lungenkrankheit niedergeworfen. Genesen und mit seinem ersten Geld in der Tasche, betritt er 1958 in Frankfurt eine Galerie für zeitgenössische Kunst und kauft "in naiver Begeisterung" spontan zwei Bilder. Rückblickend sieht Hassbecker darin so eine Art Initialzündung. "Mir scheint, dass ich mit diesen enthusiastischen Bilderkäufen meiner geheimen Vorbestimmung als Kunstsammler gefolgt bin".
Jung verheiratet, zieht er kurz darauf im Pferdefuhrwerk des Karl Fuchsloch in eine alte Wassermühle im Holdergrund um. Doch in der Idylle am rauschenden Bach bekommt Hassbecker Asthma, und er lässt sich schließlich in einem Holzhaus mit riesigem Garten in Mülben nieder, das er bis zuletzt bewohnt.
Inzwischen hatte er in Eberbach eine kleine Buchhandlung gegründet und bezog damit 1965 zwei schmale Räume im Hof der Friedrichstraße 14, direkt hinter der heutigen Firma Neckardraht - und ziemlich versteckt. "Das kleine Städtchen Eberbach in seiner reizvollen Lage mag ein guter Alterswohnsitz sein oder ein Ort für ruhige Ferien. Doch eine Buchhandlung ohne Schaufenster mit einem Zugang über den Hof..." Um die Leute neugierig zu machen, nennt Hassbecker sie "Hofbuchhandlung" - stellt der Seriosität halber aber noch ein "verschämt eingeklammertes (Hinter-)" voran. Der Name zog. Und bald auch das, was in Hassbeckers Erinnerung als "einzigartig und tollkühn in dieser Kleinstadt" einging: "Die Konfrontation von Bildern mit Büchern in experimenteller und dilettantischer Weise". Hassbecker selbst sollte von da an unbeirrt seinem eigenen Weg folgen und dem, wozu ihn seine Lebenseinstellung und seine "närrische Liebe zur Kunst" bestimmen. Einem Maler, der ihm vorwirft, nicht ihn, sondern seinen eigenen Geschmack ausstellen zu wollen, antwortet er: Weder habe er eine Zensur beabsichtigt, noch sei er bösartig. "Aber ich bin auch nicht artig". Und erkennt im Nachhinein, dass der Mann mit seiner Einschätzung den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
Reibungen waren da im Eberbach der Sechzigerjahre vorprogrammiert. Schon weil der kriegserfahrene und sich nun stark in der Friedensbewegung engagierende Mann und seine Galerie bald "eine gewisse Anziehungskraft" insbesondere auf Schüler des Hohenstaufen Gymnasiums ausübten. Der Laden wurde zum Treffpunkt, galt in der Stadt bald als "rotes Nest"; Hassbecker sah sich dem Verdacht ausgesetzt, "Spion, Agent oder Ähnliches" zu sein und wurde als "Jugendverführer" beschimpft. Wer den Kriegsdienst verweigern wollte, dem leistete er allen erforderlichen Beistand, was den Eberbacher Buchhändler bald auch beim Wehrbezirkskommando in Heidelberg bekannt machte. Aber auch Lehrer schauten regelmäßig in der (Hinter-)Hofbuchhandlung vorbei und "diskutierten mit mir über Kapitalismus und Sozialmus", erinnert sich Hassbecker zum Beispiel an (Helmut) Joho oder "einen kleinen Herrn namens May" (gemeint ist Karlheinz Mai, Anm. der Red.).
Auch Eberbacher Künstler wie Manfred Garstka und Achim Stähle gingen in der Friedrichstraße 14 ein und aus. Hassbecker unterhielt hier Kontakte zu Johanna Hemberger, dem Bauhausschüler Heiner Knaub, erfreute sich als Sammler von "Kunst, die nicht primär aus dem Verstand geboren wird, sondern in weiter zurückliegenden archaischen Schichten entsteht", bald namhafter Förderer. Und er fand Freunde wie Walter Hepp, damals Geschäftsführer der Druckerei Krauth, der ihm bei seinen Ausstellungen half und auf seiner unentwegten Suche nach den Schöpfern naiver Kunstwerke auf eine seiner zahlreichen Reisen nach Osteuropa begleitete.
1969 nutzte Hassbecker die Gelegenheit, seine Galerie zu vergrößern und in die zuvor von Jehovas Zeugen genutzten Räume schräg gegenüber einzuziehen. Und er widerstand zu diesem Zeitpunkt noch allen Lockungen aus Heidelberg, mit seinem inzwischen zum regionalen Zentrum für Naive Malerei erwachsenen Haus Eberbach zu verlassen. Bis ihm 1979 wegen Abriss des Hinterhofgebäudes der Mietvertrag gekündigt wurde. Hassbecker war zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre alt. Und er wagte in der Haspelgasse 12 unweit der Heiliggeistkirche einen Neuanfang - zusammen mit seiner Lebensgefährtin Barbara Schulz. Auch sie hatte er in Eberbach kennengelernt. Und sie ist es auch, die sein Lebenswerk in Heidelberg jetzt fortführt.
Info: Egon Hassbecker, "Haspelgasse 12 in Heidelberg", hrsg. von Roland Krischke und Barbara Schulz, Morio Verlag, ISBN 978-3-945424-24-7