Quantcast
Channel: Eberbach
Viewing all articles
Browse latest Browse all 7182

Hirschhorn: Gegenüber der Ersheimer Kapelle findet sich ein ganz besonderes Kapellchen

$
0
0

Von Jutta Biener-Drews

Hirschhorn. Die Zeiten sind ihm nicht günstig, dem Kapellchen am Hirschhorner Neckarknie. In seiner Felsnische inmitten kilometerweit bis auf die Baumstümpfe gerodeter Steilhänge steht es da wie aus dem Zusammenhang gerissen. Wo es sich zur Ersheimer Kirche und zum Fluss hin öffnet, braust der Verkehr auf Schienen und Straße durch; wer zu ihm hin will, muss die triste Bahnunterführung durchqueren - der Naturpfad vom Stöckbergweg ist schon eine halbe Ewigkeit gesperrt. Als ob das kleine "Marienheiligtum", 1884 zur Verehrung der Gottesmutter geschaffen, heute selbst für irgendwas Buße tun müsste.

Umso erstaunlicher ist seine Anziehungskraft und anhaltende Wirkung auf die Gemüter. Nicht nur in Hirschhorn selbst, wo auch die katholische Pfarrei alljährlich im Mai noch zur Andacht hinpilgert. Geschätzt und geliebt wird das "Kapellsche" gerade von älteren Wanderfreunden, in deren Reden das Häuschen gern im Nimbus des Geheimnisvollen erscheint. Obwohl es bei unsentimentaler Betrachtung seine Aura längst verloren hat. Auch weiß so gut wie niemand überhaupt was über es zu sagen. Die wenigen Kundigen, die das können, muss man suchen. Heimatforscher Dr. Ulrich Spiegelberg ist der eine: Er hat einiges über die Entstehungsgeschichte zusammengetragen. Maria Rettenmaier ist die andere: Für sie ist das Kapellchen ein Teil ihrer Familiengeschichte - "ein mystischer Platz meiner Kindheit".

Maria Rettenmaier, Jahrgang 1949, entstammt einer alteingesessenen Hirschhorner Familie und ist ihrer Heimatstadt bis heute treu geblieben. Als ältestes von vier Kindern war sie die einzige, "die immer den Storys unserer Mutter zugehört hat" - und sich das alles dann auch merkte. So auch das, was von der 1875 geborenen Oma mütterlicherseits überliefert ist. Deren Vater, ein Schneidermeister namens Franz Karl Ziegler, war ein tief gläubiger Katholik und gründete als junger Mensch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Rosenkranzverein für junge Männer. Und dieser Verein, so Rettenmaier, habe der damals weit verbreiteten Armut und Bedürftigkeit zum Trotz dafür gespart und gesammelt, um das der Madonna geweihte Kapellchen im Kapellengrund erbauen zu können.

Aus Spiegelbergs Quellen geht hervor, dass es an dieser Stelle schon einen Vorgängerbau gegeben hatte: ein altes Heiligenhäuschen, das 1842 dem Bau der Staatsstraße weichen musste. Den Arbeitern am oberhalb gelegenen Steinbruch diente es bei schwerem Wetter auch als Unterstand. Im darunter liegenden Kapellengrund, in der Schlucht zwischen Stöckberg und Feuerberg, gab es im Mittelalter auch ein sogenanntes Gutleute- oder Leprosenhaus. Und von 1857 bis zu seinem Verfall 1872 stand da, wo 1884 dann das heutige Kapellchen errichtet wurde, ein Missionskreuz.

Das Baujahr deckt sich mit Rettenmaiers Geschichte; wie es zu dem Bau kam, darüber geben Spiegelbergs Unterlagen aber keine Auskunft. Nur dass es ein "Ort der Marienverehrung, eine Stätte der Stille und des Gebets" sein sollte, und dass es 1905 erstmals und in den 1980ern auf Eigeninitiative von Bürgern "mit viel Liebe und Idealismus" erneut renoviert wurde.

Einer dieser Bürger war der Geschäftsmann Ludwig Bissdorf, dessen Name in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht. Maria Rettenmaier erinnert sich an ihn als eines streng gläubigen Mannes, der sich nicht nur seelisch zum Kapellchen hingezogen fühlte. Er kümmerte sich zeit seines Lebens auch mit Tatkraft und Hingabe um Erhalt und Pflege sowohl der Andachtsstätte wie des Wanderpfads: "Meines Wissens ist Bissdorf da jeden Morgen hingewandert".

Als Mädchen von elf, zwölf Jahren wanderte auch Maria Rettenmaier jeden Samstag mit ihrer Tante zum Kapellchen, wo damals ganzjährig Rosenkranzandachten stattfanden. "Die hatten einen hohen Stellenwert in der Familie wegen meines Urgroßvaters", sagt Rettenmaier. Man zündete Kerzen an, betete gemeinsam und stimmte Mariengesänge an - ganz privat. Rettenmaiers Aufgabe war es an diesen Samstagen, Blumen aus der Pfarrkirche, wenn sie beim Austausch gegen neue noch brauchbar waren, im Eimer ins Kapellchen zu tragen und in eine Vase zu richten. Auch der Putzjob fiel ihr zu. Jedes Mal musste das Mädchen dafür "17 halbe Eimer Wasser" von der Quelle im Kapellengrund heraufschleppen: die Zahl 17 1/2 hat sich Rettenmaier tief ins Gedächtnis eingeschrieben.

Unvergesslich ist ihr auch eine Begebenheit mit Bissdorf, die ihr heute zwar wunderlich anmutet, aber den früheren Geist dieses Ortes für sie gut einfängt. Einmal, als sie mit Bissdorf zusammen wieder der Muttergottes huldigte und beide mit lauter Stimme im Betstuhl Marienlieder sangen, stießen fünf Touristen dazu, junge Leute mit Rucksäcken. Sie kamen, knieten sich gerührt auf die Steinstufen des Kapellchens "und konnten gar nicht genug kriegen" von den frommen Weisen. "Wir haben dann nur für sie noch ein extra Lied gesungen...".

Der Sage nach hatten Wanderer, die nächtens auf dem Weg von Hirschhorn nach Igelsbach unterwegs waren, übersinnliche Erscheinungen am Kapellchen, die ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließen. Feierliche Gesänge wollen sie dort vernommen und gesehen haben, wie sich die Neckarflut dabei glutrot verfärbte und flammende Holzscheite auf ihrer Oberfläche trieben. Vorbeifahrende Schiffer wollen das ewige Licht im Kapellchen schon an Stellen erblickt haben, wo man es unmöglich schon sehen konnte. Eine weitere Sage aus Ulrich Spiegelbergs Sammlung erzählt davon, dass im Kapellengrund einst zum Schutz vor einfallenden Kriegshorden der Schatz aus der Ersheimer Kirche vergraben und in der Schlucht von einem ungeheuren schwarzen Hund bewacht wurde. Unter mysteriösen Umständen wurde die Schatzkiste in der Folgezeit dann mehrfach gesichtet.

Auch in Maria Rettenmaiers Erinnerung ist das Kapellchen ein verwunschener Ort. "Es war damals ganz zugewachsen: Ein Rosenbusch war da, ein Kastanienbaum wölbte sich darüber, an der Brunnenstube standen vier große Buchenbäume - es war ein beliebtes Ziel für Sonntagsspaziergänge". Vermutlich ja auch für Liebespaare. Der dichte Baumbewuchs und die Abgeschiedenheit des Ortes boten lauschige Ecken für solche Zusammenkünfte. Und oben, an der Brunnenstube im alten Steinbruch, soll hinter der Öffnung in der Wand ja auch "der Klapperstorch gewohnt haben". Die Sitzbänke davor, mit fantastischem Panoramablick auf Neckarschleife und Stadt, waren später als Rentnertreff beliebt.

Vielleicht tut ja der nahende Frühling das Seine und verhilft mit frischem Grün ringsum dem Kapellchen zu neuem Zauber. Auch hat der Hirschhorner Gewerbeverein um Arnt Heilmann vor, das vom Wanderweg abgeschnittene Andachtshäuschen über diesen bald wieder anzubinden.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 7182

Trending Articles



<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>