Von Barbara Nolten-Casado
Eberbach. Seit 2008 ziert die "Rindenklopferin" als Teil eines vierteiligen Skulpturenzyklus die Neckaranlage unterhalb der Stadthalle. Doch wer weiß schon um die anatomische Besonderheit, die diese bronzene Dame auszeichnet?
Viele Jahre lang hatte der Bürger- und Heimatverein den Ostermarkt in der Stadthalle veranstaltet. Eine stattliche Summe wanderte dank der Einnahmen in die Vereinskasse. Das angesparte Geld sollte in ein Projekt fließen, mit dem ein Stück Stadtgeschichte für Einheimische und Gäste sichtbar gemacht würde. "Außerdem sollte es etwas sein, das keine Pflegekosten nach sich zieht", erläutert der ehemalige Vorsitzende des Vereins, Günter Lipski, auf dem Weg durch die Anlage. Die Idee wurde geboren, längst ausgestorbene Berufe abzubilden, um zu zeigen, wie so manche Vorfahren heutiger Menschen aus der Region einst ihren bescheidenen Lebensunterhalt verdienten.
Der "Reifschneider" sollte das geplante Skulpturenensemble eröffnen. Mit Gerald Hildenbrand konnte ein Eberbacher Künstler für die Bronzearbeit gewonnen werden. 2006 wurde Einweihung gefeiert. In jeweils zweijährigen Abständen folgten die "Rinden᠆klopferin", die "Treidlergruppe" und der "Steinhauer".
Aus der Werkstatt von Gerald Hildenbrand
Auch die Rindenklopferin stammt aus der Werkstatt von Gerald Hildenbrand. Ausgestattet ist die junge Frau mit allen für ihr Handwerk typischen Utensilien - allesamt in Bronze gegossen, versteht sich. Als Modell für den Guss diente das "Eberbacher Beil" des Schiffers Franz Röth. Der Stamm, auf dem geklopft wird, hatte einst in der Lautenbach gestanden. Die Originalrinde holte Lipski für den Guss eigens aus dem Museum, und die "Schälprügel" besorgte Hildenbrand vom Ohrsberg.
Von Beginn des 17. Jahrhunderts bis in die frühen 1950er Jahre brachte die "Hackwaldwirtschaft" Eberbacher Waldbesitzern guten Gewinn und der Bevölkerung Arbeit und Brot. Alle 15 Jahre wurde ein Waldstück, der sogenannte Schlag, dafür genutzt, da der Gerbsäuregehalt der Eichenrinde in diesem Alter am höchsten ist. Jeder Schlag wurde mit Steinen in "Loose" eingeteilt, loosweise wurde die Arbeit an die Bevölkerung vergeben. Die Männer arbeiteten dort als Hauer. Dabei räumten sie alles bis auf die Eichen aus. Anschließend fällten sie die Eichenstämmchen und teilten sie mit dem "Eberbacher Beil" in meterlange "Prügel" ein.
Die Frauen klopften die Rinde mit dem Beilrücken auf und lösten sie mit dem "Schinder" ab. Die Rinde kam zum Trocknen auf Böcke, wurde mit Kuhgespannen an den Neckarlauer gefahren und mit Lastkähnen, ab 1880 auch mit der Bahn, in die großen Lohgerbereien, vor allem nach Worms, gebracht. Dort wurden mithilfe der in der Rinde befindlichen Gerbsäure Tierfelle zu Leder gegerbt. Die abgeräumte Waldfläche wurde "überlandgebrannt" und zwei Jahre lang für den Anbau von Buchweizen und Roggen genutzt. Doch nun zur anatomischen Besonderheit der bronzenen Rindenklopferin. Erst bei genauem Hinsehen wird es offenbar: die Dame hat sechs Finger an ihrer linken Hand. Ein Versehen des Künstlers? Keineswegs. Gerald Hildenbrand, Spross einer alteingesessenen Eberbacher Familie, kannte die Legende, die sich um dieses Detail rankt und hat sie in seiner Skulptur verewigt: "Als der liebe Gott einmal sah, wie die jungen fleißigen Mädchen mit ihren oft noch kleinen linken Händen nach den dicken Knüppeln griffen, wie sie sie mit der linken Hand hielten, bis die Rinde entfernt war, da bewegte ihn der Anblick, und er überlegte, wie er den Mädchen die schwere Arbeit erleichtern könnte. Schließlich hatte er die Lösung gefunden: Er ließ den Mädchen für die Zeit des Rindenklopfens an der linken Hand einen sechsten Finger wachsen."