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Awo-Tafel in Eberbach: Vordrängler werden auch mal an die Luft gesetzt

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Von Jutta Biener-Drews

Eberbach. Auch im Tafelladen wird in mehreren Schichten gearbeitet. Es ist eiskalt hier drin. Wüsste man es nicht besser, man könnte meinen, sich in die Kühlkammer verirrt zu haben. "Die Heizung ist kaputt", klärt Gassan Badreddin mit einem entschuldigenden Lächeln auf. Aber das ist sie offenbar nicht erst seit gestern. Der Mann trägt rote Kappe, roten Awo-Anorak und vermutlich noch einiges drunter. Sogar sein Gesicht hat diese frische rote Farbe angenommen, vielleicht von der Kälte - die Außentemperatur ist gerade weit unter null Grad gefallen -, vielleicht von der vielen Action. Badreddin ist zusammen mit Gerald Ernst der Boss im Awo-Laden, und das bringt es mit sich, dass er sich von 6 Uhr morgens an acht Stunden richtig abrackern muss - meist ohne Pause. Aber es macht ihm Spaß, die Arbeit, die Menschen um sich herum, und er ist damit ja auch nicht allein: "Wir sind hier wie eine Familie!"

Badreddin (49) stammt aus dem Libanon und ist schon seit zwölf Jahren im Tafelladen beschäftigt, zuerst unter der Regie der Caritas Mosbach, seit 2012 hat die Eberbacher Awo unter Vorsitz von Gustel Mechler das Sagen. Ein Drückeberger darf man in diesem Job nicht sein. "Man muss alles machen, geht mich nichts an gibt’s hier nicht!" sagt Badreddin und zeigt sein strahlendstes Lächeln. Da muss das Zusammenspiel mit der "Familie" natürlich 100-prozentig passen. Tut es auch.

Marion Göllner (42) zum Beispiel, kurze schwarze Haare, lebhafte braune Augen, ist schon seit vier Jahren dabei und lächelt ihre offensichtliche Erschöpfung nach einem harten Arbeitstag freundlich weg. Der Rest der "Familie" besteht aus insgesamt zwischen zehn und 15 Ehrenamtlichen, Ein-Euro-Jobbern, die immer nur ein halbes Jahr bleiben dürfen, und Leuten, die hier Sozialstunden ableisten. Frauen sind in der Überzahl. Es ist eine Familie auf Zeit, die sich immer wieder neu zusammensetzt, nur zwei Stellen sind fest. Und Gassan Badreddin, der Macher mit Sozialkompetenz, sorgt dafür, dass der Laden läuft.

Für die Kundschaft geöffnet ist der Tafelladen immer erst ab 10.30 bis 13 Uhr, samstags bis 12 Uhr. Aber um 6 Uhr muss sich Badreddin meist selbst hinters Steuer des Lieferwagens klemmen und eine von zwei Touren fahren, um die Ware heranzuschaffen. In Eberbach und im Umkreis von etwa 30 bis 40 Kilometern werden alle bekannten Discounter und große Supermärkte angefahren, die ihre schon am Vortrag gerichtete Ware für die Awo zur Abholung bereitgestellt haben. Obst, Gemüse, Milchprodukte, Wurst, Käse und andere Lebensmittel, mit kleinen Mängeln oder an der Grenze des aufgedruckten Mindesthaltbarkeitsdatums: Für den Tafelladen gibt’s das auf Spendenbasis. Die Lieferung lässt sich nie im Voraus bestimmen, was die Kunden in den Regalen vorfinden, kann sich alle 24 Stunden ändern.

Zurück in der Adolf-Knecht-Straße, muss die Ware sofort vorsortiert und erfasst werden. "Wir verkaufen nur das, was wir selber essen würden", lautet das Auswahlprinzip. Und so können zwei oder drei Packungen Obst, wenn Multschiges oder Schimmeliges ausgelesen wurde, zu einer einzigen appetitlichen Packung zusammenschrumpfen. Das Sichten und Sortieren ist schwere Arbeit am frühen Morgen, "manchmal extrem", weiß Badreddin: "Ich hab schon Kisten geschafft, geschafft, geschafft, die sind einfach nicht leer geworden".

Fürs Organisatorische und die Preisgestaltung, für den Bürokram ist in der Adolf-Knecht-Straße Gerald Ernst zuständig. Im Awo-Laden, der sich dadurch selbst tragen kann, werden die Sachen für ein Drittel des Ladenverkaufspreises abgegeben. Aber wenn es auf den Ladenschluss zugeht und der Kopfsalat oder die Paprika befürchten lassen, die Nacht nicht genießbar zu überstehen, kriegen die letzten Kunden auch mal einen Sonderpreis - und die bei Engpässen rationierte Ware auch mal in größeren Mengen. "Das ist dann halt Glücksache", sagt Badreddin. Anspruch darauf hat niemand, und wenn einer noch später kommt als der Glückspilz und sich benachteiligt fühlt, diskutiert der Ladenleiter nicht lange: So sind die Spielregeln, anders kann’s hier nicht laufen! Schließlich soll ja möglichst wenig verderben.

Der Libanese ist ein Meister darin, sich mit Händen und Füßen verständlich zu machen. Das ist hier Gold wert, denn die Kundschaft ist international. Mit Menschen aus dem arabischen Raum kann Badreddin sich in seiner Muttersprache unterhalten, mit Afrikanern zur Not auch auf Englisch. Aber wie er jede Mitteilung - wohl auch die unangenehmen, wenn Kunden, wie er sagt, "manchmal rumspinnen" - in aussagekräftige Gesten packen kann, macht ihm so leicht keiner nach.

Im Awo-Laden kaufen täglich zwischen 45 und 80 Menschen ein, es sind mehr geworden. Sie alle müssen ihre soziale Bedürftigkeit nachweisen. Es sind Männer und Frauen, Alte und Junge, aus der ganzen Welt - aber vermehrt auch aus dem Inland. Alleinerziehende, Kranke, Rentner, Sozialhilfeempfänger, "für viele wird es am Ende des Monats sehr eng", weiß Badreddin.

Für den Einkauf im Tafelladen muss sich jeder eine Nummer für den jeweiligen Tag besorgen. Ab 10.30 Uhr wird die Kundschaft dann in kleinen Grüppchen der Reihe nach eingelassen und bedient. Um in der Warteschlange nicht zu weit hinten zu stehen und zum Schluss vielleicht leer auszugehen, kommen die Kunden teils schon um Sieben in die Adolf-Knecht-Straße und holen sich ihre Nummer. Dann sind sie später als Erste dran und haben die größte Auswahl. Denn laut Gassan Badreddin ist zwar immer genug für alle da, aber nicht von allem.

Vordrängler und Ellenbogenmenschen setzt der 49-Jährige auch mal an die Luft. Schlechtes Benehmen kommt im Tafelladen nicht in die Tüte, "jeder muss bei uns die Regeln beachten!". Und wenn sonst nichts hilft, wird auch mal ein mehrmonatiges Hausverbot verhängt. Natürlich nur für den Störer, nicht für seine Familienmitglieder. "Aber das hilft dann definitiv."


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