Von Barbara Nolten-Casado
Eberbach. Paul ist alt geworden, man sieht es ihm an. Mit ledernen Socken an den Hinterpfoten trottet der Labrador-Retriever müde durch den Raum, auf der Suche nach einem Plätzchen zum Ausruhen. Die Socken trägt er, damit ihm die kraftlos gewordenen Beine nicht wegrutschen beim Laufen auf dem glatten Fliesenboden.
Einen Tag nach seinem 14. Geburtstag ist der Therapiehund gemeinsam mit Hundetrainerin Doris Bermich und seiner kleinen Freundin, der schwarzen Zwerg-Podenco-Hündin Lilli, ins Eberbacher Pflegeheim "Lebensrad" gekommen, um sich dort von den Senioren zu verabschieden.
"Paul geht mit seinen - in Menschenjahre umgerechneten - 95 Lenzen in den wohlverdienten Ruhestand", erläutert Bermich. Und die alten Herrschaften, die zum Teil seit Jahren ihre Freude an Paul und Lilli hatten, zeigen volles Verständnis für den Entschluss.
Mit elf Wochen hatte Doris Bermich Paul zu sich geholt, mit dem Ziel, ihn "von der Pike auf", für die therapeutische Arbeit zu erziehen. Die kleine Lilli zog ein paar Jahre später bei ihr ein, auch sie ging bei Bermich in die Schule.
Die Liebe zu Hunden wurde Doris Bermich quasi in die Wiege gelegt, wuchs sie doch gemeinsam mit zwei Vierbeinern in der Familie auf. Und die Arbeit mit Senioren ist der gelernten Krankenschwester ein Herzensanliegen. So begann sie, nach entsprechender Ausbildung, vor 16 Jahren mit dem Hundetraining. 2004 gründete sie ihre eigene Hundeschule "Faires Hundetraining" in Waldbrunn und spezialisierte sich neben Bereichen wie familien- und alltagsorientierter Hundeerziehung auf die tiergestützte Arbeit mit Senioren. Außerdem ist sie als Dozentin für das Thema an verschiedenen Pflegefachschulen tätig.
Welche Eigenschaften muss nun ein Therapiehund haben, um seinen Job mit alten oder behinderten Menschen tun zu können? "Er muss ein Urvertrauen gegenüber Menschen haben", lautet die Antwort. Auch solle er sich anfassen und streicheln lassen. Und was muss er lernen? "Viele therapeutische Spielchen", sagt Bermich.
Apportieren gehört beispielsweise dazu: "Die Hunde werden so flexibel wie möglich erzogen, damit sie viele verschiedene Dinge tragen." Sinn und Zweck der "Spiele" ist es, die Senioren zum aktiven Mitmachen zu animieren, sie sollen mit Händen, Armen und Verstand etwas leisten. "Die Leute tun es gern, sie tun es für den Hund, weil der ja so viel Spaß hat."
Seit zwölf Jahren besucht Doris Bermich mit ihren Vierbeinern alte Menschen in Eberbach, anfangs noch im Dr.-Schmeißer-Stift. Einmal im Monat kommen die drei seitdem für eine Stunde ins Heim. "Eine gewisse Regelmäßigkeit ist wichtig", weiß Bermich. "Es sollen ja Beziehungen wachsen, und die Senioren warten auf die Termine."
Was das Spielen mit den Hunden in ihnen bewirkt? "Ganz viel", ist sie überzeugt. "Ein Hund kann Blockaden öffnen." Oft würden in den Senioren Erinnerungen wach. Menschen, die sich bereits verschlossen hätten, öffneten sich plötzlich und begännen zu sprechen, etwas von früher, von ihrem eigenen Hund zu erzählen.
Die Freude an den Tieren sieht man auch den 18 Bewohnern des Lebensrades an, die an diesem Morgen zur Verabschiedung von Paul und Lilli in den Veranstaltungsraum gekommen sind. "Guten Tag, großes Mädchen", tätschelt eine alte Dame die kleine Lilli, als diese sich ihr nähert. "Wie schön die mit dem Schwanz wedelt", bemerkt eine andere.
Doris Bermich hat als "Spielzeug" eine Zeitung mitgebracht. In ihre Seiten sollen die Senioren ein Leckerli verpacken und das Ganze fest zu einem Ball kneten. Dann werden die Bälle nacheinander geworfen.
Lilli flitzt los, holt den Ball, springt damit auf einen Hocker, um sich - auf Augenhöhe mit den Senioren - Leckerli und Streicheleinheiten abzuholen. Und natürlich bekommt auch der alte Paul seinen Anteil ab - weil er so brav zugeschaut hat.
Dabei redet Bermich mit den Menschen, fragt sie nach eigenen Tieren, lässt sich von Dackel oder Schäferhund, Katze oder Terrier berichten. Oder von den Erlebnissen eines Heimbewohners "am Ende des Krieges", als er als Flüchtling auf einem Bauernhof untergekommen war. Bei einem Spiel mit Rennbahn und Auto kann auch Paul noch einmal mitmachen.
Dann heißt es schweren Herzens Abschied nehmen. Ein letztes "Tschüss", ein "Danke" noch an Doris Bermich, Paul und Lilli. "Das war der letzte Abschied heute", seufzt Bermich. In anderen Pflegeeinrichtungen, die sie besuchte, hat sie bereits Ade gesagt.
Und wie geht es jetzt weiter? "Für Lilli allein ist die Aufgabe zu viel", begründet sie den Schlussstrich. Und Karl, der Pauls Nachfolge als Therapiehund antreten sollte, hat sich als ungeeignet dafür herausgestellt.
So will Bermich sich nun dem Aufbau neuer Therapiehunde-Teams widmen. In Kursen möchte sie ab Herbst Menschen das nötige Rüstzeug vermitteln, die selbst mit ihrem Hund Senioren besuchen möchten.
Was sollte ein Hund lernen für den Besuch in einer Pflegeeinrichtung? Wie gewöhnt man ihn an die fremden Geräusche und Gerüche? Auf welche Situationen muss er vorbereitet werden, um nicht überfordert zu sein?
Fragen wie diese sollen dabei eine Antwort finden. Denn: "Das ist was Tolles für Hunde, die möchten nicht nur spazieren gehen, die wollen eine Aufgabe haben", weiß die Trainerin.