Quantcast
Channel: Eberbach
Viewing all articles
Browse latest Browse all 7182

Defi-Hauptstadt Deutschlands: "Medizinische Feuerlöscher" überziehen Eberbach

$
0
0

Von Peter Bayer

Eberbach. "Die Rettung von Norbert Kehrer hat mir klar gemacht, was Leben heißt", sagt Patrick Schottmüller, muss dabei gegen die emotionalen Erinnerungen ankämpfen. Es war der 19. Mai 2013, Pfingstsonntag. Der Tag, der nicht nur das Leben von Norbert Kehrer auf einen Schlag veränderte, der aus zwei Männern Freunde werden ließ - sondern auch der Tag, den man als Geburtsstunde des Projekts "Defibrillatoren in Eberbach" bezeichnen kann.

Am 21. November werden der knapp 15 Minuten tote und wieder ins Leben zurückgeholte Norbert Kehrer und der Leitende Notarzt Patrick Schottmüller bei der TSG Hoffenheim einen von der AOK organisierten Vortrag zum Thema "Gesundheitsmanagement" halten. Sie werden einmal mehr betonen, wie wichtig die ersten lebensrettenden Maßnahmen sind. Das hatte sich auch im Fall von Norbert Kehrer gezeigt.

"Eigentlich wollte ich an dem Tag keinen Dienst machen", erinnert Schottmüller sich an jenen Pfingstsonntag vor fünf Jahren, als wäre es gestern gewesen. Doch weil kein anderer Notarzt da war, musste er als Chef einspringen.

Per Notruf wurde eine "synkope Ohnmacht" gemeldet, das heißt, der Kreislauf war weg. Von einer Wiederbelebung war im Notruf keine Rede gewesen.

Am Rockenauer Sportplatz angekommen, kam ihm schon der ehemalige GRN-Leiter Klaus Eiermann entgegen, der ihn damals als Oberarzt eingestellt hatte. "Schottmüller, mach!", hat er ihn angeschnauzt. "Da habe ich gewusst, es geht um was", sagt der Notarzt. "Ich habe Norbert Kehrer liegen gesehen, blass, aber nicht blau im Gesicht."

Von all dem hat Kehrer nichts mitbekommen. Auch nicht, dass vier Menschen um sein Leben kämpften. Der AH-Fußballer hatte wie immer beim Pfingstturnier der SG Rockenau mitgespielt. "Das erste Spiel endete 1:1, ich bin vom Platz gegangen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als ob es mir die Füße wie mit einem Schraubenzieher in den Boden zieht und bin weggekippt", erinnert er sich noch.

"Es war ein freies, tolles Gefühl, ich bin glücklich und zufrieden über den Rockenauer Wald geschwebt." Die Stimmen, die er im Unterbewusstsein vernahm, haben ihn in diesem Moment nicht gestört, wie er sagt.

"Mit ihrem Mut und unglaublichem Einsatz haben mir meine Helfer nicht nur das Leben gerettet, sondern auch die Lebensqualität erhalten", sagt Kehrer. Zu seinem Glück waren vier Leute sofort zur Stelle, die wussten worauf es ankommt: Krankenschwester Ulla Kappes, Intensivkrankenschwester Jutta Veith, Physiotherapeutin Sandra Joho und Florian Fink, der erst kurz zuvor einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hatte.

Fast 15 Minuten haben sie mit Herz-Druck-Massage und Beatmung sein Gehirn mit Sauerstoff versorgt und damit den Hirntod verhindert. Denn ohne Wiederbelebung ist das Hirn nach drei bis fünf Minuten bereits irreparabel geschädigt. "Wenn man erst überlegen muss, ist das eine erstaunlich kurze Zeit", sagt Schottmüller.

Mit Hilfe des Defibrillators hat er Norbert Kehrer nach dessen Herzinfarkt wieder ins Leben zurückgeholt, hat zwei Mal mit hoher Energie "geschossen". Entgegen der Leitlinie. Die sieht nach dem ersten Stromstoß eigentlich wieder eine Herzdruckmassage vor.

Doch seine langjährige Erfahrung hat den Notarzt in dieser Situation genau richtig handeln lassen. "Der Strom hat sein Herz wieder angestoßen, ihm Starthilfe gegeben", erklärt er die Wirkung. Nach dem zweiten Schuss hat Kehrer die Augen aufgemacht und immer wieder "Wo bin ich?" gefragt. Erinnern kann er sich heute nicht mehr daran. Erst im Eberbacher Krankenhaus ist er wieder aufgewacht, konnte die Fragen der Ärzte beantworten.

Danach wurde Kehrer nach Heidelberg gebracht, wo ihm ein Herzkatheter gelegt wurde. Am Dienstag, zwei Tage nach seinem Herzinfarkt, haben die Ärzte ihm und seiner Frau gesagt, dass er sein Leben nun komplett umstellen müsse. "Am dritten Tag habe ich das nicht mehr akzeptiert", sagt Kehrer, wollte alles so machen wie früher.

Ein dreiviertel Jahr hätte er sich zu Hause schonen sollen. Elf Wochen war er - einschließlich Reha - in Behandlung, als er wieder in seinen stressigen Job zurückkehrte.

"Darf ich wieder Fußball spielen?", war eine seiner ersten Fragen an seinen Kardiologen. Dessen Antwort hat er sich zu Herzen genommen: "Du kannst dich jetzt 30 Jahre in die Ecke setzen und jammern oder das Leben genießen."

Als Sportler und Kämpfer hat sich Norbert Kehrer für die zweite Variante entschieden. "Ich war inzwischen in Afrika, in Kanada, das hätte ich früher nicht gemacht." Fit hält er sich mit intensivem Ausdauertraining, drei bis vier Mal die Woche, und Yoga. "In der Reha habe ich andere Fälle gesehen und mit großem Entsetzen festgestellt, was mir hätte geschehen können", sagt Kehrer.

"Wir sind wahnsinnig gut in der Notfallmedizin, unser Rettungssystem ist eines der besten weltweit", betont Schottmüller. "Aber das erste Glied der Rettungskette - der Ersthelfer - ist am wichtigsten."

Deshalb wird er nicht müde, sich für seine "Herzensangelegenheit" zu engagieren. In Kindergärten und Grundschulen versucht er, den Kindern die Berührungsängste zu nehmen. "Die Kinder sind es, die uns einmal retten müssen", betont er.

14 Wochen nach seinem Herzinfarkt hat Norbert Kehrer der SG Rockenau einen Defibrillator gespendet, der seither im Sportheim hängt. "Es war der Startschuss für das Projekt, Eberbach mit Defis zu überziehen", sagt Schottmüller. In den Bürgermeistern Bernhard Martin und anschließend Peter Reichert hat er Unterstützer gefunden, die Bürgerstiftung war von Anfang an als Geldgeber dabei, dazu kamen noch einige Privatspender.

Inzwischen kann man Eberbach als die Defi-Hauptstadt Deutschlands bezeichnen. "Früher wussten die Leute nicht, was ein Defibrillator ist, heute wissen sie sogar, wie man ihn schreibt", sagt Norbert Kehrer und schmunzelt dabei.

"Der Defi ist der medizinische Feuerlöscher, er ist kinderleicht zu bedienen", sagt Patrick Schottmüller. "Traut euch, nichts ist schlimmer, als nichts zu tun", appelliert auch Norbert Kehrer, der nicht mehr am Leben wäre, wenn ihm nicht spontan vier Menschen geholfen hätten.

Doch um überhaupt mit dem Gerät helfen zu können, ist es wichtig, zu wissen, wo der nächste Defibrillator ist. Aus diesem Grund stellen wir in den nächsten Wochen die rund um die Uhr zugänglichen Standorte in Eberbach und den Ortsteilen vor.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 7182

Trending Articles



<script src="https://jsc.adskeeper.com/r/s/rssing.com.1596347.js" async> </script>