Von Peter Bayer
Eberbach. "Eine Medaille bei den Deutschen Meisterschaften ist das Ziel jedes Schützen", sagt Martin Hildenbrand. 48 Mal hat der 63-Jährige ihn sich in seiner langen Sportlerkarriere bereits erfüllt. In diesem Jahr kamen drei weitere hinzu, darunter die achte Goldmedaille im Einzel. Was die diesjährigen Titelkämpfe aber zu etwas Besonderem für ihn machte, war die Tatsache, dass gleich fünf Mal der Name Hildenbrand im Medaillenspiegel erschien. Drei Mal sein eigener und je einmal der seiner beiden Söhne Christian und Florian.
Der Schießsport ist in der Familie Hildenbrand "so drin". "Sonntagmorgen mit Opa im Schützenhaus war das Highlight der Woche, dazu gab’s eine heiße Wurst und eine Libella, erinnert sich der inzwischen 31-jährige Florian, der mit zwölf Jahren mit dem Schießsport angefangen hat. Auch sein fünf Jahre älterer Bruder Christian ging anfangs zum Zuschauen mit. Wann er selbst angefangen hat, weiß er nicht mehr so genau: "Ich glaube, es war mit 16".
Martin Hildenbrand hingegen weiß es noch genau. Er hat 1964 als Neunjähriger begonnen. Damals war das noch möglich, heute liegt das Mindestalter bei zwölf Jahren. 1966 gewann er bereits seine erste Medaille bei Deutschen Jugendmeisterschaften. Mit der Luftgewehrmannschaft des SSV Eberbach wurde er Dritter.
Jahr für Jahr sind die Deutschen Meisterschaften in München ein Stelldichein für die Schießsportwelt. 6000 Teilnehmer messen sich an mehreren Tagen und ermitteln ihre Titelträger. Die Atmosphäre ist einzigartig. Von einem "Ruhe bitte!" wie auf dem Centre Court in Wimbledon ist man hier so weit entfernt wie ein Trabi vom Ferrari.
"Hinter jedem Schützen steht ein großer Monitor, der Zuschauer sieht alles. Für den Schützen ist das ein großer Druck. Dazwischen gibt es immer wieder Szenenapplaus der mitgereisten Fans", schildert Martin Hildenbrand. Allein der SSV Spechbach, für den er und sein Sohn Florian seit ein paar Jahren schießen, war mit zwei Kleinbussen angereist. Mittendrin steht der Schütze, der in all dem Trubel die Ruhe bewahren und sich konzentrieren muss. Schon ein einziger Fehlschuss kann die Medaille kosten, eine "8" oder "9" gar den Titel.
Schießsport - das ist heute mehr als nur Patrone rein, zielen und abdrücken - so einfach geht es auf diesem Niveau nicht mehr, wenn man bei den Deutschen Meisterschaften um den Titel mitmischen will. "Wir befassen uns intensiv mit der Materie", sagt Martin Hildenbrand. Das beginnt bei der Munition und hört bei der Kleidung auf. Wie intensiv, dazu nennt sein Sohn Christian ein Beispiel: "Wie wiegen die Kugeln mit einer Apothekerwaage auf ein Tausendstel Gramm genau ab. Dann wird eine Gruppe von 30 Kugeln gebildet, immer aus der gleichen Charge."
Denn gerade beim Zimmerstutzen - hier gewannen die Hildenbrands dieses Jahr zwei Medaillen - kann es wegen des kurzen gezogenen Laufs der Waffe auf jede Kleinigkeit ankommen. Geschossen wird auf eine Entfernung von 15 Meter, geladen werden Zündhütchen, eine Treibladung und eine Rundkugel.
Der 36-jährige Christian Hildenbrand ist zwar eher der Mann für die großen Kaliber (6,5x47 Millimeter) und großen Entfernungen (300 Meter). Doch bei der Munition achtet auch er auf kleinste Kleinigkeiten. Die Patronenhülsen reinigt er und verwendet sie erneut. "Sie sind perfekt ans Patronenlager angepasst, die entsprechende Munition herauszufinden ist sehr zeitaufwendig, aber man kann viel herausholen", ist er überzeugt.
Auch bei der Kleidung der Schützen kommt es - kaum vorstellbar - auf Bruchteile von Millimetern an, ähnlich wie bei den Skispringern, bei den nicht zu viel Luft zwischen Anzug und Körper sein darf. An Schuhen, Jacke und Hose trägt ein Schütze beim Wettkampf so um die sechs Kilo Gewicht mit sich herum. Die Kleidung ist von Spezialfirmen maßgefertigt. "Die Steifheit der Jacke wird an fünf Stellen gemessen, weist sie nur ein Zehntel Millimeter zu viel auf, wird man disqualifiziert", so Martin Hildenbrand.
Das Brutale daran: Gemessen wird nach dem Wettkampf. Da stellt sich die Frage nach der Messgenauigkeit. So kam etwa ein Deutscher Meister aus Kronau bei zwei Kontrollen durch, bei der dritten nicht. "Und am nächsten Tag ist er für Deutschland zur Weltmeisterschaft gefahren", sagt Hildenbrand.
Auch Florians neue Jacke war einmal vor einem Wettkampf grenzwertig, doch sie wollten kein Risiko eingehen. "Wir haben sie mit dem Hammer geklopft und über Steine gezogen, weil sie zu steif war, es tat mir in der Seele weh", erinnert sich Florian.
Patronenhülsen einsammeln und säubern, Kugeln abwiegen, Jacken klopfen und so manches mehr neben dem fast täglichen Training - der Aufwand hat sich in diesem Jahr für das Trio gelohnt. Allen voran für den Senior der Familie. Auch wenn er bereits 1973 den ersten seiner insgesamt sieben Einzeltitel gewann, die Aufregung vor jedem Start bei den Deutschen Meisterschaften gehört für ihn immer noch dazu.
Nach Silber mit dem Zimmerstutzen am zweiten Wettkampftag war "das Limit erfüllt", konnte er es gelassener angehen. Dennoch gewann er tags darauf mit dem Kleinkaliber Sportgewehr seinen achten Einzeltitel. "Er wollte es hier wissen", verrät Sohn Christian. Hier hatte er seinen Schwerpunkt gesetzt, wollte nach 1982 und 2003 in dieser Disziplin zum dritten Mal den Titel gewinnen.
Kaum zu glauben, dass er sich fast selbst um das Gold gebracht hätte. "Dann schieße ich nicht", war er vor dem Wettkampf fest entschlossen. Er wollte unbedingt bei der Siegerehrung für Florian dabei sein. Der hatte es nach Platz fünf und vier in den Vorjahren endlich als Dritter mit der Mannschaft aufs Siegerpodest geschafft.
Seine Söhne redeten es ihm jedoch aus, also schoss er als seine Serien noch vor Florians Siegerehrung durch. Vor dem letzten Schuss war klar, dass er die "9" treffen musste, um zu gewinnen, was ihm auch gelang. Mit Platz drei im Kleinkaliber 100 Meter vervollständigte er seine Medaillensammlung.
Noch ohne Medaille bei Deutschen Meisterschaften musste Christian, der in München nur zur Unterstützung dabei war, wenige Tage später nachlegen. "Ein gewisser Druck war schon da", gibt er zu, zumal er mit 298 von 300 Ringen Landesmeister geworden war. Der Druck sollte für ihn im Verlauf des Wettkampfs noch größer werden.
Geschossen werden drei Serien à zehn Schuss. Er ließ "Zehner" auf "Zehner" folgen. Doch nach dem zwanzigsten Schuss hieß es für ihn plötzlich "disqualifiziert". Auf seiner Scheibe wurde ein elftes "Einschussloch" gefunden. Es folgten Diskussionen. Schließlich konnte er die Aufsichten davon überzeugen, dass das elfte Loch einen anderen Durchmesser aufwies.
Die simple Erklärung: Ein Nagel war herausgefallen, der die Scheibe halten soll. "Da ging der Puls hoch", erinnert Christian sich. Durchschnaufen und die störenden Gedanken aus dem Kopf kriegen, war angesagt. Für jede Zehnerserie hat der Schütze zehn Minuten Zeit. "Ich wusste, ich kann sie in zwei Minuten runterschießen." So hat er sich Zeit gelassen, ziemlich spät mit dem ersten Schuss begonnen. Auch diesmal war jeder Schuss ein "Zehner". 300 von 300 möglichen Ringen.
Das hatte der 36-Jährige noch nie zuvor geschafft. Dennoch reichte es "nur" zum zweiten Platz. Er hatte 16 Mal die "innere Zehn" getroffen, der Sieger 18 Mal. "Ich war mega happy", sagt er, auch wenn zum lachenden ein weinendes Auge dazu kam.
So sieht er noch "Luft nach oben", wenn er noch öfter die Kugel in die "innere Zehn" setzt. Wie? "Bisher habe ich Fabrikmunition verwendet..."