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Eberbach: Tief Victoria brachte vor 25 Jahren das Jahrtausend-Hochwasser

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Von Rainer Hofmeyer

Eberbach. Es war die Vorweihnachtszeit 1993, also jetzt vor 25 Jahren. Viele können sich heute noch lebhaft dran erinnern. Viele von ihnen waren mittendrin. Der 21. Dezember 1993 war der Tag einer der größten Naturkatastrophen in der kleinen Stadt am Neckar.

Die Altstadt war komplett abgesoffen. 9,5 Meter hat man an diesem Spätabend am Eberbacher Pegel abgelesen. Das Wasser- und Schifffahrtsamt korrigierte den Wert später nach einer eigenen Berechnung nach unten: Es waren exakt 9,265 Meter - auf drei Stellen genau hinter dem Komma. Ob mehr oder weniger: Der Neckar hat den Eberbachern erheblich zugesetzt. Die Hochwasser-Historie kennt seit 1529 nur vier Überschwemmungen, die höher waren - der Spitzenwert 1824 war 11,94 Meter. Damals stand das Wasser bis zum Gasthaus Rose. 1993 lag die Grenze der Brühe bei der Bahnhofstraße. Die Friedrich-Ebert-Straße war eine einzige Wasserlinie. Privat- und Geschäftsleute hat es getroffen. Es war eine "schöne Bescherung", ein paar Tage vor dem Christfest. Zum Glück gab es keine Personenschäden.

Hans-Peter Bock, heute 80, war damals der stellvertretende Leiter des Ordnungsamtes. Dort hätten die Warnmeldungen der vorgesetzten Dienststellen einlaufen müssen. Aber - es kam nichts. Die Landesregierung, das Regierungspräsidium, der Kreis - alle versagten. Mühsam musste sich die Eberbacher Einsatzleitung die Daten zusammentragen. Wie üblich, waren das die Pegelstände ab Gundelsheim neckarabwärts, plus Enz, Kocher und Jagst. Aus Erfahrung wusste man, wie lange eine Hochwasserwelle nach Eberbach braucht: Vier Stunden ab Gundelsheim.

Der Neckar stieg und stieg. Entgegen sonstiger Hochwasserlagen im Winter war es keine Schneeschmelze plus Regen. Es war das von den Azoren heranrauschende Tief Victoria, das Unheil brachte. Es schüttete aus allen Kübeln auf den Schwarzwald und den Einzugsbereich von Kocher und Jagst und direkt auf den Bereich Mosbach/Eberbach. Am oberen Neckar blieb das Hochwasser in einer Fünf-Jahres-Höhe, also harmlos.

Der Neckar eroberte Eberbach unaufhörlich. Die Bundesstraße war schnell überschwemmt. Das Kurhaus stand bald im Wasser. Im Rathaus flutete der Fluss den Boden des erhöhten Erdgeschosses. Die Tiefgarage am Leopoldsplatz, damals eigentlich als Atombunker ausgelegt, konnte nicht rechtzeitig bei der Ausfahrt abgeschottet werden. Aber am Ende lief das Wasser auch von oben rein. Hans-Peter Bock stand mit den Stiefeln im Rathaus im unteren Stockwerk im Nass. Er musste in der Nacht von 21. auf den 22. Dezember den Einsatz koordinieren. Die Telefone schalteten sich gegen 20 Uhr ab, erinnert sich Bock heute. Der Strom fiel flächendeckend aus. In der Stadt konnte man nicht mehr telefonieren - die Verteilerkästen der Bundespost wurden vom Wasser lahmgelegt.

Im Rathaus lief das Notstrom-Aggregat an. Gegen 22 Uhr war der Höchststand erreicht, hat sich Bock gemerkt.

Derweil wartete Karlheinz Hauck, heute 70, damals Stadtamtmann und Leiter des Personalamtes, mit einer Truppe Bediensteter die Nacht über auf den hoffentlich abfallenden Neckarpegel. Ausgerüstet mit allerlei Besen. Denn, das weiß man in Eberbach: Wenn das Hochwasser fällt, muss man das Wasser und den Schlamm sofort aus dem Haus kehren, sonst wird der braune Brei steinhart. Der Pegel sank am 22. Dezember kontinuierlich. So reinigte man denn auch das Rathaus. Doch Entspannung bedeutete das nicht. Für Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz, DLRG und Polizei waren es ereignisreiche Tage und Stunden. Alle verfügbaren Kräfte waren rund um die Uhr im Einsatz. Das Ordnungsamt musste sich nach dem Abziehen der Flut um zahlreiche obdachlos gewordene Familien kümmern.

Familien wurden obdachlos

Die ebenerdigen Wohnungen der Altenheime in der Friedrich-Ebert-Straße waren nicht mehr zu nutzen. Die Bewohner kamen in städtischen Liegenschaften unter. Aber auch sonst mussten viele evakuierte Bürger der Altstadt versorgt werden. Einkäufe mit dem Nötigsten waren zu organisieren. Die Feiertage standen an.

Die schlimmsten Hinterlassenschaften waren nicht Schlamm und nasses Mobiliar, nicht die vernichteten Auslagen der Geschäfte. Zahlreiche Heizöltanks waren vom Wasser angehoben worden, umgekippt und ausgelaufen. Die Stadt stank wochenlang nach Öl. Es sollen rund 100.000 Liter Öl im Wasser verteilt worden sein.

Kurz nachdem sich der Neckar aus den Häusern zurückgezogen hatte, gab es ein Großreinemachen. Die Keller wurden leer geräumt, die vernichteten Einrichtungsgegenstände und die zerstörten Waren entsorgt. Kaputte technische Anlagen, Heizungen, Kühlanlagen musste man ersetzen. In den Straßen stapelte sich der nasse Schutt. Bei aller Sorge um die Bevölkerung und allem Schaden bei Privat- und Geschäftsleuten. Die Stadt selbst traf es ebenso hart, und das gleich zweimal. Die für den Betrieb als Bunker eingebauten technischen Anlagen der Tiefgarage waren defekt - insgesamt ein Millionenschaden.

Dazu hatten die Techniker der Stadtwerke auch noch das Hallenbad vergessen. Statt ein Gegengewicht zum auftreibenden Grundwasserpegel zu bilden, war das Plastikbecken dort leer. Das Wasser im Erdreich hob seinen Boden an, knickte und zersplitterte ihn.

Eberbachs Geschäftsleben war nach der Katastrophe für Wochen teilweise gelähmt. Erst langsam wurden die Schäden beseitigt. Lange noch sah man an den Wänden an einem öligen Rand, wie hoch es der Neckar in jener Nacht vor 25 Jahren geschafft hatte.

Bei allen Schäden, die angerichtet waren: Es gab damals noch die Badische Gebäudeversicherung. Bei diesem Monopolisten waren alle Risiken an allen Häusern abgesichert. Die Beauftragten stellten die Schäden fest. Es gab eine Abschlagszahlung, dann kam pünktlich auch die vollständige Abrechnung. 580 Schadensfälle wurden erhoben. Umgerechnet 8,9 Millionen Euro zahlte die "Badische" aus. Selbst die Stadt blieb nicht auf den Kosten sitzen. Was im Kurhaus beschädigt wurde, bekam man ersetzt. Die Tiefgarage konnte wieder in Schuss gebracht werden, ohne den Stadtsäckel zu belasten. Und sogar für den kapitalen Schaden im Hallenbad kam die Versicherung auf.

Das Versicherungsmonopol fiel übrigens am 1. Juli 1994. Von da an wurden die Gebäudeversicherungen stetig teurer. Zu erwähnen ist noch: 78.000 Mark kamen an privaten Spenden für die Hochwassergeschädigten in Eberbach zusammen. Die amerikanische Partnerstadt Ephrata schickte 17.000 Dollar.


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