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Nach Unwettern in der Region: Sehnsucht nach der alten Badischen Gebäudeversicherung

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Von Rainer Hofmeyer

Eberbach. Überschwemmungen nach Starkregen in deutschen Landen, auch im Odenwald. Erdrutsche, die ganze Häuser mitreißen. Schwerste Schäden in vielen Gegenden. Ganze Gemeinden sind betroffen. Viele Menschen verlieren ihre Existenzen. Dieses Mal kein Hochwasser entlang der Flüsse, sondern lokale Schäden, wo man sie nie erwartet hätte.

Es kommt ein übliches Ritual: Die Regierung hilft "schnell und unbürokratisch". Das lindert so gut wie nicht. Es ist eine Formel, die hinterher oft keiner Überprüfung standhält. Denn die Maxime heißt: Wer sich versichern kann, erhält keine Zuwendung auf Kosten des Steuerzahlers, wenn es passiert ist.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann forderte gerade jetzt wieder eine Zwangsversicherung gegen Elementarschäden. Es wird wohl nichts daraus werden. Denn, was Kretschmann wissen müsste: Eine solche zwangsweise Versicherung gab es in Baden schon einmal: Die Badische Gebäudeversicherung. Sie ist den strikten Vorgaben der EU zum Opfer gefallen.

1994 hat der damalige baden-württembergische Landesfinanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder die fast 250 Jahre alte kostengünstige badische Zwangsversicherung an die Sparkassen verkauft.

Diese Badische Gebäudeversicherung von 1758 war eine segensreiche Sache, eine "Anstalt öffentlichen Rechts". Im Winter 1993 gab es zum Beispiel ein Jahrhunderthochwasser, das weite Teile der Eberbacher Innenstadt überflutet und viele Häuser beschädigt hatte. Für die Hausbesitzer eine ganz kritische Situation. Es wäre sogar eine Frage der Existenz gewesen. Doch kein Eigentümer blieb auf seinem Gebäudeschaden sitzen. Die Badische Gebäudeversicherung zahlte alles. Es konnte auch keinem Versicherungsnehmer im Schadensfall gekündigt werden.

Markgraf Carl Friedrich von Baden richtete am 25. September 1758 eine Monopolanstalt ein. Die "Brand-Assecurations-Societät", genauer: "Badisch-Durlachische Brandversicherung", wodurch "die Wohlfahrt unserer Lieben und Getreuen Unterthanen befördert" werden sollte. Keiner sollte nach einem Feuerschaden seine Existenz verlieren. Über 200 Jahre lang wurde nur gegen Feuer versichert. 1960 entschied der Landtag von Baden-Württemberg per Gesetz, dass auch andere Risiken mit abgedeckt sind: Sturm, Hagel, Hochwasser und Überschwemmung, außerdem Schneedruck, Erdfall, Erdrutsch, Bergsturz und Lawinen, später auch Erdbeben.

Bis 1994 musste sich niemand besonders um die richtige Versicherung seiner Liegenschaft kümmern. Zu einem Einheitstarif war jeder Hausbesitzer gegen alles geschützt. Die Versicherung war in Baden auch noch billig, obwohl alle Risiken undifferenziert in den gleichen Topf wanderten. Einheitsprämie nannte man das. Der Versicherungsbeitrag orientierte sich am "Versicherungswert von 1914" des betreffenden Gebäudes und am Schadensaufkommen in ganz Baden, ein Umlageverfahren, gleich, ob jemand an Neckar, Itter, Holderbach oder am Eberbacher Scheuerberg sein Häuschen hatte.

Die jährlichen Prämien gingen auf und ab. Brannte im Mannheimer Hafen ein Getreidespeicher wie 1991, fegten 1990 die Orkane Vivian und Wiebke übers Land oder stürzten im gleichen Jahr kanadische Jagdflieger in die Karlsruher Innenstadt: Die Schäden flossen in die Gesamtrechnung ein. Gelegentlich wurde die Umlage auch gesenkt, wenn es weniger Schadensfälle gab. Darüber hinaus gab es jährlich auch umgerechnet noch rund sechs Millionen Euro für die Feuerwehren des Landes.

"Sicher und günstig" - bis 1992 europaweit die Auflösung der Monopolversicherungen drohte. Da informierte die Badische Gebäudeversicherung ihre Kunden noch vollmundig, auch nach der Privatisierung werde alles beim Alten bleiben. Mit Wirkung vom 1. Juli 1994 wurde der Wegfall der staatlichen Zwangsversicherungen per EU-Regelung verfügt. Baden-Württemberg wehrte sich nicht. Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder veräußerte 1994 das "Tafelsilber" für 1,1 Milliarden DM an die Sparkassen-Finanzgruppe Baden-Württemberg. Die Badische Gebäudeversicherung und die Württembergische Gebäudebrandversicherung wurden zur Gebäudeversicherung Baden-Württemberg fusioniert.

Die neue Gebäudeversicherung Baden-Württemberg AG musste sich jetzt dem Wettbewerb stellen. Das mit den weiterhin niedrigen Prämien ging anfangs recht gut. Aber ausgerechnet in den ersten Jahren 1993 bis 1995 gab es viele Elementarschäden und damit Bilanzverluste in dreistelliger Millionenhöhe.

Das hieß: Entweder die Einheitsprämie anheben oder die Risiken differenzieren. Denn die guten Wagnisse ohne Elementarversicherungen konnten sich inzwischen die Konkurrenten mit billigeren Preisen wegschnappen. Höchst unerquicklich waren die Schreiben, die Hausbesitzer in Hochwasserregionen zum 1. Januar 1996 von ihrer Gebäudeversicherung Baden-Württemberg erhielten: Selbstbehalt der Versicherungssumme in Höhe von 1 Prozent, mindestens 5000 Mark, oder Ausschluss der Risiken Hochwasser und Überschwemmung. Die Hochwasser-Absicherung konnte also plötzlich teurer werden. Ab Neujahr 2000 war auch die Gebäudeversicherung Baden-Württemberg verschwunden. Es gab nur noch die SV-Versicherung. Was einst in Baden-Durlach im Jahr 1758 als markgräfliche Feuer-Assekuranz begann, endete damit auf dem "freien europäischen Markt".

Privatisierung der Gebäudeversicherung heißt: Die Gesellschaften müssen keine Verträge abschließen. Gleichwohl meldet aktuell der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), dass in Baden-Württemberg 95 Prozent aller Gebäude gegen Elementarschäden versichert sind. Sicherlich ein Ausfluss des früheren Monopols. Die Kunden wissen, was sie an der entsprechenden Vorsorge haben, auch wenn es mehr kostet.

Hausbesitzer in Eberbacher Hochwassergebieten und in den anderen gefährdeten Zonen sollten ihre Versicherungen überprüfen und gegebenenfalls ergänzen. Die Privaten versichern auch hier, wie alle Versicherungsagenturen bestätigen. Zum alten Einheitstarif der Badischen geht es schon lange nicht mehr.

Ausgangspunkt für die Prämienrechnung ist jetzt das "Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen" ZÜRS. Da spielt in Eberbach auch die Nähe zum Neckar oder den zulaufenden Bächen eine gewichtige Rolle.

In Eberbach gibt es Stadtgebiete in der höchsten Risiko-Stufe ZÜRS 4. Auffallend ist die Zonierung entlang der L 2311 bei der Itter und die Bachzone beim Holdergrund, die bis ins Bahnhofsgebiet reicht. Neckar, Itter oder Holderbach: Die unmittelbare Nähe zu Fluss und Bächen sollte jedoch nicht allein den Ausschlag für eine Elementarversicherung geben. So mancher in der Gegend um Eberbach wähnte sich auf der sicheren Seite, bis vor einigen Wochen bei Starkregen das Wasser in seinem Keller stand.

Ein im Hohen Odenwald lebender Eberbacher Altbürgermeister kann dies ausführlich anhand seiner jüngsten Erfahrungen berichten.


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