Von Hajo Eckert
Eberbach-Unterdielbach. Die Entstehung Unterdielbachs war ein Versehen. Ein Bauer rodete ein bisschen zu weit in die falsche Richtung. Oder das Fleckchen Erde gefiel ihm einfach. Erst ein, dann zwei Häuser wurden auf der Rodung gebaut. Keiner merkte es oder keinen interessierte es: Die zwei neuen Häuser standen außerhalb der Ortsgemarkung Oberdielbachs auf Eberbacher Flur.
Ob Irrtum oder Vorsatz: Unterdielbach entstand 1474 auf "wilder Wurzel". Bis Ende des 18. Jahrhundert blieb es bei maximal vier Höfen, obwohl der Eberbacher Rat mittlerweile offiziell Flächen zur Rodung freigab. Noch 1955 waren es lediglich 23 Häuser und 16 Scheunen.
Heute ist Unterdielbach ein Achtel Dorf: ein Achtel der Hauptstraße und drei Sackgassen. Drumherum Wiesen und Wald. Die Heimat des letzten Wolfs im Odenwald: Am 12. März 1866 wurde dieser im Wald bei Unterdielbach erlegt. 120 Schützen und 130 Treiber verfolgten bei einer Treibjagd das Tier. Schließlich erlegte der Schollbrunner Vincenz Diemer den Wolf, nachdem ein anderer diesen bereits verwundet hatte. Der 40 Kilogramm schwere Wolf wurde präpariert und steht heute im Eberbacher Stadtmuseum. An der Abschussstelle wurde 2000 ein Wolfsstein errichtet, ein Denkmal mit Inschrift.
Heute noch gibt es viel Wild auf der Höhe um Unterdielbach. Wildschweine kommen aus dem Wald. Rotwild äst auf den Wiesen. Füchse schnüren hin und wieder durchs Dorf. Anfang Juni schaute ein Fuchs im Hühnerstall von Edgar Uhrig vorbei. Zwanzig Hühner biss er tot, eins nahm er mit. "Ich hatte zwei so stolze Hähne", sagt er schweren Herzens.
Eine beschauliche Gegend, mit bis zu 560 Höhenmetern, lädt zum Wandern und Verweilen ein. Der Blick schweift über die weite, einsame Hochfläche bis zum Katzenbuckel. Die Seele baumeln lassen, den Blick über die weiten Höhen gerichtet, und die Schafherde zur linken: Das ist Unterdielbach. Es bietet eine vielfältige Natur und Wandermöglichkeiten. Ab Grenzwegende, vorbei an uralten Grenzsteinen, durch Streuobstwiesen entlang der Hügelkette; den Naturpfad entlang des Holderbachs, über etliche Holzbrücken, bis zum Wildschweingehege; oder über den Breitenstein bis Eberbach. Es wirkt befremdlich: Mitten im Dorf steht ein zweites Ortsschild, das von Oberdielbach. Ist Unterdielbach überhaupt ein Dorf? Einen Dorfkern gibt es nicht. Lediglich zwei Wohnstraßen, die hier enden. Würde man Oberdielbach mit einem Kuchen vergleichen, dann wäre Unterdielbach das linke, untere Stück, das herausgeschnitten ist.
Zwischen Ober- und Unterdielbach verläuft auch die Kreisgrenze. Seit 200 Jahren gab es immer wieder Anstrengungen um Oberdielbach zu Eberbach oder Unterdielbach zu Waldbrunn einzugliedern. Das ewige Hin und Her führte jedoch nie zu einem Ergebnis: Es blieb, wie es schon immer war. Lediglich am hinteren Grenzweg gab Waldbrunn ein paar Meter Grundstück ab. So gab es sieben neue Bauplätze am Grenzweg. Dafür fielen Unterhalt und Sanierung der Straße komplett an Eberbach. Der Grenzweg ist eine "historische Straße". "In einem Archiv fanden wir ein altes Dokument als Beweis", sagt Ortsvorsteher Uhrig. Damit sind die Anwohner auf der bisherigen Unterdielbacher Seite von Anliegerkosten befreit. Ob dies auch für die ehemalige Oberdielbacher Seite zutrifft, scheint offen.
Wenn es zwischen Unter- und Oberdielbach im Lauf der Jahrhunderten mal Missstimmungen gab, waren meist finanzielle Themen und Gefühle der Benachteiligung der Auslöser, beispielsweise Bau und Unterhalt der Schule in Oberdielbach. Vieles hat sich mit der Zeit von selbst geregelt.
Trotzdem, ein paar Alltagskontroversen gibt es immer. Das Schild des Männergesangvereins: Unter der Bezeichnung Oberdielbach wollten die Unterdielbacher Sänger, ein Drittel des MGV, nicht mehr mitsingen, erklärt Ortsvorsteher Edgar Uhrig. Im Kräftespiel der Vereine schwand die Grenze; das Vereinsleben brachte die "kleine Einheit". Es gibt den Männergesangverein Dielbach, den Fußballverein SV Frischauf Dielbach, den Sportschützenverein Dielbach und die Freiwillige Feuerwehr.
Unter den 200 Unterdielbachern gebe es ein harmonisches Miteinander, jeder kennt jeden, sagt Uhrig. Immerhin sind 90 Prozent alt-eingesessene Einwohner und nur 10 Prozent Zugezogene aus der Umgebung. War früher die Landwirtschaft die Haupterwerbsquelle, so gibt es heute keine einzige Kuh mehr im Ort. Die Landschaftspflege übernimmt größtenteils Schäfer Peter Hasslinger, dessen Herden über die Hügel ziehen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass in Unterdielbach alle zwei Jahre, erneut 2018, ein kleines Volksfest mit Schafwetthüten stattfindet.
Viel Veränderung wird Unterdielbach in den nächsten Jahren wohl nicht erleben. Außer dem kleinen Baugebiet am Grenzweg, gibt es wenige Baulücken. Das Internet ist sehr langsam. Anschluss ans Breitband ist nicht in Sichtweite. Im Gegensatz zu Oberdielbach: Dort ist das schnelle Internet teilweise ausgebaut. Das macht selbst die Ansiedlung des stillen Gewerbes sehr schwierig. Denn die wenigen Geschäftsleute beschwerten sich bereits über die Internetverbindung, so Uhrig. So bleibt Unterdielbach vermutlich, was es ist: die höchstgelegene Aussichtsterrasse von Eberbach.