Von Elisabeth Murr-Brück
Eberbach/Hirschhorn. Das Badezimmer wäre vielleicht der beste Ort, wenn man den Ehrgeiz hat, daheim selber Berliner zu machen. Haben unsere Mütter und Großmütter schließlich auch gemacht, wenn auch in der Küche. Die Eigenproduktion hätte den Vorteil, dass jeder den Kräppel kriegt, den er möchte, beim Einkaufen komme ich da logistisch schnell an meine Grenzen. Ein familiärer Glaubenskrieg, der nichts damit zu tun hat, dass wir unterschiedlichen Konfessionen angehören. Gemeinsam ist uns die Liebe zu den Hefe-Bollen, die meistens als "Berliner" gehandelt werden und die wir - so wie sie sind - nicht teilen mögen, eine Liebe, die uns trennt.
Bei meinem Mann heißen sie Fasnachtsküchle, ich sage Faschingskrapfen. Das geht tiefer als Sprache und Herkunft. Meinem Mann schmecken sie immer, für mich hat ein jeglich Ding seine Zeit; was selten ist, ist mehr wert. Der Name definiert das Zeitfenster: von Februar bis Aschermittwoch, streng genommen; großzügig erweitert auf die Karnevalssaison könnte man im November anfangen. Was für die Allzeit-Alles-Fraktion insofern Sinn ergibt, weil dann die Dominosteine trocken sind, auf die sie sich seit August gestürzt hat wie ausgehungerte Wölfe auf eine Ladung Frischfleisch.
"Berliner gehen immer", sagt Wolfgang Wicklein, Konditormeister im Café Reichspost. Im Sommer merkbar weniger, aber so an die zehn Stück am Tag macht er doch, zwischendurch, wenn’s grade passt, auch Apfelkrapfen, bei denen man sich einreden kann, sie seien die gesündere Alternative. Jetzt aber, so ab Neujahr, wenn niemand mehr Weihnachtsgutsel sehen mag und gesunde Ernährung erst mal vertagt wird (bald gibt es ja ‚sechs Wochen ohne‘), jetzt also gehen 40 bis 50 über den Tresen und wenn man Pech hat, sind sie schon mittags aus.
Goldfarben, mit einem weißen Ring in der Mitte, dem Qualitätszeichen für einen guten Krapfen und mit Puderzucker fein überstäubt, so muss es sein. Wenig Begeisterung am heimischen Teetisch: mein Mann mag sie lieber mit grobem Zucker.
"Machen wir auf Wunsch auch", sagt Wolfgang Wicklein, gefüllt mit Johannisbeer- und Himbeermarmelade. Die kratze ich sorgfältig raus, in den Krapfen meiner Kindheit war Aprikosenmarmelade, genauer: Rosenmarillen. Wolfgang Wicklein kommt aus Franken, dort nimmt man traditionell "Hiffenmark", also Hagebutte. Rote oder gelbe Füllung: die Fraktionen sind von der einzig richtigen ähnlich überzeugt wie zu Tillys Zeiten die Konfessionen von ihrem Glauben.
An Fastnacht ist alles erlaubt: Vanillepudding, Schoko-Creme, Eierlikör, Sodom und Gomorrha. Mancherorts soll Schlagsahne beliebt sein, landesweit unverzichtbar ist Senf als Schenkelklopfer ohne Verfallsdatum. Zwölf verschiedene Sorten waren in der Großbäckerei Standard, in der Michael Grimm ein Jahr lang gearbeitet hat. In vierter Generation führt er das legendäre Stadtcafé in Hirschhorn, Kräppel gibt es hier von Oktober bis längstens April, je nach Großwetterlage, je kühler, desto Kräppel. Bis letztes Jahr noch hat er sie selber gemacht, jetzt lässt er liefern, gegen die Großproduzenten kann er nicht konkurrieren, sagt er. Er ist der letzte Bäcker am Ort und einer der wenigen im Umkreis, wo noch von Hand gebacken wird wie früher.
Das Mehl bezieht er von Seiferts Mühle in Allemühl, wenn er Eier und Butter rechnet und die Zeit, dann müsste er pro Stück einen Euro achtzig verlangen: "Das zahlt hier keiner."
In der Fabrik knetet, portioniert und formt eine Maschine die Teiglinge, dreht sie nach zehn Minuten um, frittiert, kühlt und füllt nach Programm, "da muss nur einer aufs Knöpfchen drücken", Ob Zucker oder Schokoglasur oder sonst was drüber kommt: auch das "Finish" wird programmiert, 130.000 Stück in der Stunde: "Wahnsinn", und den weißen Rand hat er selber so perfekt gar nie hingekriegt.
Damit der Teig nicht zusammenfällt, braucht die Industrie Stabilisatoren, der Bäcker Erfahrung und Zeit.
Die Teigruhe ist wichtig, nach dem ersten Aufgehen und Formen sollten die Teiglinge noch einmal gehen, dann kommen sie in den Garschrank für die Feuchtigkeit. Der heimische Ersatz wäre hier das warme Badezimmer, ein feuchtes Tuch tut es aber auch. Man muss aber aufpassen, nur bis "etwa zwei Drittel der Gare" dürfen sie aufgehen, sagt Wolfgang Wicklein. Hefe lebt, wenn der Teig zu sehr geht, zieht er beim Backen zu viel Fett und die Kräppel schrumpeln; wenn es draußen kalt ist, dauert’s länger.
Viele Eier sind gut für den Geschmack, aber zu viel Eigelb macht den Teig trocken, Butter ist ein Geschmacksträger, aber auch da muss man genau dosieren, damit die Krapfen fluffig und locker werden.
Wolfgang Wicklein zeigt auf eine alte Teigmaschine, die schon weit über 50 Jahre hier steht. Die knetet anders als die neue, "sensibler", der Teig sei anders strukturiert, sagt er.
Braucht man noch was für gute Krapfen? "Liebe", sagt er.