Von Rainer Hofmeyer
Eberbach. Den Namen dieses Bürgermeisters kennt keiner in Eberbach. Noch nicht einmal in Online-Bibliotheken über die Neckarstadt war er zu finden - in der Rubrik "Bürgermeister" klaffte für seine Amtszeit eine Lücke. Der Mann war vergessen, ehe er überhaupt da war: Dr. Dr. Friedrich Wenz, anfangs parteilos, Eberbachs Bürgermeister von 1931 bis 1934. So wenig sich jemand an ihn erinnert: Seine Amtsgeschichte ist so unvergleichlich und spannend wie kaum eine in der Neckarstadt, seine Wahl zum Amtschef ist so außerordentlich wie sein Abgang.
Der Mann wurde in der kurzen Zeit an der Spitze der Stadt drangsaliert wie kein anderer, er wurde zwischen seiner Aufgabe, der Bürgerschaft und Parteiinteressen aufgerieben. Keine vier Jahre war er im Amt, in der Zeit des Überganges von der Weimarer Republik zum Dritten Reich. Offenbar fehlte Wenz auch eine gewisse Fähigkeit, auf die Bürger der Neckarstadt zuzugehen, mit ein Ausschlag für sein Scheitern. Dass ihm für ein Dreivierteljahr der Ortsgruppenleiter der NSDAP im Amt folgte, sagt aber schon alles über die Verhältnisse, denen Wenz ausgesetzt war und in welche Richtung die Stadtpolitik damals lief. Am Ende hatte es sich Wenz offenbar mit den Nazis verscherzt, selbst falsches Verhalten in Kleinigkeiten wurde ihm vorgeworfen - das besiegelte sein Schicksal. Da half auch alle Kehrtwende nichts, bis hin zum Eintritt in die braune Partei und der Aufmarsch in SA-Uniform.
Die NSDAP hatte zwar vor der "Machtübernahme" die größten Anteile an den politischen Positionen in der Stadt, ohne Unterstützer erreichte sie aber in demokratischen Zeiten nicht die rechnerische Mehrheit. 1931 wurden in Baden Bürgermeister nicht vom Volk gewählt. Nicht einmal der Gemeinderat hatte ein Wörtchen mitzureden. Der Bürgerausschuss war es, der über den Chef der Verwaltung bestimmte.
Nach dem Weggang von Dr. Karl Frank als Oberbürgermeister nach Ludwigsburg suchte Eberbach im Juli 1931 einen neuen Chef im Rathaus. 71 Bewerber meldeten sich. 13 Kandidaten kamen in die engere Wahl. In zwei Wahlgängen erreichte keiner der Aspiranten die nötige Mehrheit. Der spätere Bürgermeister stand überhaupt nicht auf der Liste, hatte sich nicht beworben. Noch nicht einmal im Vorfeld des dritten, entscheidenden Wahlgangs.
Dr. Dr. Friedrich Wenz tauchte erst überraschend zur letzten Abstimmung auf. Ein parteiloser 31-jähriger Rechtsanwalt aus Ludwigshafen. Ein NSDAP-Stadtrat aus Ludwigshafen hatte ihn wohl seinen Eberbacher Parteigenossen empfohlen. Wie der Kontakt zwischen Rhein und Neckar zustande kam, ist nicht mehr nachvollziehbar.
NSDAP und Zentrumspartei lagen in Eberbach politisch auf gleicher Linie, geeint in der Maxime, auf jeden Fall einen sozialdemokratischen Bürgermeister zu verhindern. Die Wahlmänner beider Parteien wurden von ihren Führern auf eine einheitliche Abstimmung für Wenz eingeschworen, ohne bis zuletzt den Namen des zu Wählenden zu kennen.
Rechtsanwalt Dr. Otto Müller von den Demokraten, nach dem Kriege für die CDU im Gemeinderat, erfuhr am Vorabend der Wahl von Wenz’ Kandidatur und lud ihn zu sich in die Kanzlei. Die Zusage durch Wenz, er stehe rechts, gehöre keiner Partei an und werde sich auch keinen Radikalen anschließen, genügte für die Festlegung in der Abstimmung. Der Wahltag brachte die nötige Mehrheit. Wenz war jetzt überraschend Eberbacher Bürgermeister geworden, völlig unerfahren im Umgang mit den Parteien, seinen Verwaltungsaufgaben und der Bevölkerung.
Die erste Ansprache an die Bevölkerung strotzte nur so von üblichem Blabla. Seit ein paar Tagen erst sei er in der Stadt, fühle sich aber schon als echter Eberbacher. Eine "wirtschaftliche und finanziell einwandfreie, sparsame und weitblickende Verwaltung" war das erklärte Ziel. Die Stadt kannte Wenz nicht - und er kannte die Stadt nicht. Für den Anfänger war der Kontostand der Stadtkasse gleich der erste Schock: 1,3 Millionen Reichsmark Schulden, eine stolze Summe - der neue BM war überrascht.
In den nächsten Tagen nahm Wenz sich dann seine lieben Mitbürger vor. Ab 1. September 1931 im Amt, veröffentlichte das Rathaus schon drei Wochen später einen öffentlichen Aufruf: Rückständige Steuern sollten gezahlt werden. Aufforderungen dieser Art und Mahnungen mit der Drohung von Verzugszinsen kamen danach regelmäßig. Das passte wie die Faust aufs Auge. Anfang November erhöhte Wenz die Bürgersteuer auf das Dreifache des Landessatzes, der Zuschlag auf die Gemeindebiersteuer stieg auf 100 Prozent, und ab Dezember musste eine zehnprozentige Getränkesteuer aufgeschlagen werden. Das brachte vor allem die vielen Arbeitslosen in der Stadt in Rage. Denen senkte der neue Bürgermeister zudem noch die Fürsorgeleistungen.
Radikale Maßnahmen bringen aber auch Erfolge. Statt des erwarteten neuen Defizits in Höhe von 70000 Reichsmark in der Stadtkasse waren es am Ende des Jahres nur rund 27.000. Aber Wenz stand dennoch im Feuer der breiten Kritik. Drei Monate im Rathaus - und der neue Bürgermeister war in der Bevölkerung unbeliebt. Die Arbeitslosen wehrten sich sogar öffentlich: "Wir haben zum Kaufen kein Geld. Können Sie uns Arbeit verschaffen? Die Zeit seit 1916 war für uns ein Golgatha". Wenz ließ sich dennoch nicht vom Ziel der Sanierung des Stadthaushalts abbringen. Das Rechnungsjahr 1932/33 brachte nur ein Defizit von knapp 19000 Mark. "Die Verwaltung ist in bester Ordnung", konstatierte der Bürgermeister.
Nicht in Ordnung war hingegen das Verhältnis zwischen Bürgermeister und Gemeinderat. Lehnte das Stadtparlament Vorschläge des Verwaltungschefs ab, entschied dieser nach der badischen Haushaltsnotverordnung. Ende 1932 hieß es: Ein Stadtoberhaupt darf sich nicht allein auf Diktatur und Notverordnung stützen, mit einer Fühlungnahme zur Bevölkerung könne er mehr erreichen. Viele Baumaßnahmen in der Stadt wurden unter Wenz initiiert, zwei Straßen erhielten eine neue Kanalisation, das Neckarvorland wurde ausgebaut. Wenz zog zwar Arbeitslose heran, versäumte es wohl jedoch, für die Arbeitslosen der Stadt einen größeren Anteil an Beschäftigung bei der Neckarkanalisation zu verhandeln. Über den Umbau der alten Volksschule in der Friedrichstraße gab es ein jahrelanges, ergebnisloses Hickhack. Auch das wurde Wenz vorgeworfen.
Am 5. März 1933 brach die Diktatur der Nationalsozialisten aus. Gleich Anfang April ordnete der Reichkommissar für Baden, Robert Wagner (geborener Backfisch), eine neue Struktur des Gemeinderates an. Fünf Nationalsozialisten bildeten fortan die absolute Mehrheit im achtsitzigen Stadtgremium. Die Badische Zentrumspartei, die Deutsche Volkspartei und die Deutsche Staatspartei stellten zusammen zwei, die Sozialdemokraten hatten einen Sitz. Jetzt galten nicht mehr die "geschriebenen Gesetze", sondern das "Handeln im Sinne des Führers". Die Diskussion um Bauvorhaben ging weiter, ohne dass es Fortschritte gab. Gestritten wurde weiter über die Volksschule und Siedlungsbauten.
Wenz stand permanent unter Beobachtung. Der NS-dominierte Gemeinderat gab ihm erst mal eine Schonfrist, in der Hoffnung, der Bürgermeister würde sich den neuen Machtverhältnissen anpassen. Wenz biederte sich förmlich an. Am 31. März 1933, dem "Tag von Potsdam", unterschrieb der Bürgermeister seinen Antrag auf Eintritt in die NSDAP. Am selben Tag wurden Reichskanzler Adolf Hitler und Reichpräsident von Hindenburg Ehrenbürger der ehemaligen "freien" Reichsstadt Eberbach, auch auf Vorschlag des Bürgermeisters. Noch bevor das Aufnahmeverfahren in die Partei abgeschlossen war, stolzierte Wenz in SA-Uniform durch Eberbach. Doch - zu spät. Im Juni 1933 bereits forderte der Bürgerausschuss einstimmig die Amtsenthebung. Am 13. November folgte der Gemeinderat mit demselben Votum.
Am 23. März 1934 versetzte der aus Lindach stammende Reichsstatthalter Wagner den Eberbacher Bürgermeister Dr. Dr. Friedrich Wenz in den einstweiligen Ruhestand. Aufgrund eines Gesetzes, das den neuen Machthabern erlaubte, Beamte mehr oder weniger willkürlich aus dem Amt zu entfernen. Die Liste der herangezogenen Verfehlungen war recht lang. Das Bemühen um die Verbesserung der eigenen Bezüge wurde Wenz genauso angekreidet wie der taktlose Umgang mit der Bevölkerung. Dass er die "hiesige SS" nicht zum öffentlichen Erntedankfest eingeladen habe, wurde obendrauf dem schlechten Verhältnis zu den parteiamtlichen Stellen zugerechnet. Offiziell noch in Eberbacher Diensten, ging Wenz am 1. April 1934 als Assessor zum Amtsgericht Germersheim.
Auch wenn der Bürgermeister nie eine Entlassungsurkunde bekommen hat: Einen formalen Aspekt gab es in der Causa Wenz doch noch. Die Vorwürfe und Beschwerden wurden vor dem Eberbacher Amtsgericht verhandelt. Neun Zeugen traten auf. Einer von ihnen gab ein allgemeines Urteil: "In Eberbach wird viel haltloses Zeug geschwätzt, und wenn man der Sache auf den Grund geht, will niemand dafür einstehen". Ein anderer pflichtete ihm bei: "Gegen den Bürgermeister in Eberbach wird viel Maulwurfsarbeit geleistet". Da hat sich Eberbach in den folgenden Jahrzehnten doch einiges erheblich geändert - oder etwa nicht?
Info: Eberbacher Geschichtsblatt 1987, Dr. Peter Pfeiffer